„Die Aura des Museums wird unterschätzt“
Von Angelina Wex und Corina Stratmeyer
Im Rahmen des medienwissenschaftlichen Masterseminars „Berufsfelder in der Wissenschaftskommunikation“ hatten wir die Gelegenheit, ein spannendes Gespräch mit Prof. Dr. Ernst Seidl, Direktor des Museums der Universität Tübingen MUT, zu führen. Seit Oktober 2008 leitet Prof. Dr. Ernst Seidl das MUT und ist seit 2016 zusätzlich Lehrstuhlinhaber im Fach Kunstgeschichte. Er lebt und liebt seinen Beruf als Direktor des Museums und fühlt sich berufen, die Präsenz des Museums zu stärken. Im Interview zeigt er durch seine herzliche Art, wie abwechslungsreich seine Aufgabenfelder sind.
Entgegen der Annahme, dass das Museum nicht mehr attraktiv ist, betont Seidl, dass besonders in digitalen Zeiten wieder ein wachsendes Interesse in der Gesellschaft für das Original und das Objekt zu erkennen ist.
Im Interview beschreibt Seidl seine berufliche Intention und wie sein Team und er eine breite Besucherschaft am Museum begeistern können.
Herr Seidl, wie schaffen Sie es als Direktor eines Universitätsmuseums alle gesellschaftlichen Schichten für das Museum zu begeistern?
Zunächst einmal versuchen wir in der Gesellschaft die Wahrnehmung zu verändern, dass die Universität ein unzugänglicher, hermetischer Ort ist, der mit dem Durchschnittsmenschen nichts zu tun hat oder der einen nicht interessiert. Unser Ziel ist zudem das Gegenteil von einem Museum mit viel Text. Wir möchten die Schwellenangst nehmen und die Leute ermutigen, das Museum zu besuchen. Dafür dienen natürlich so überaus erfolgreiche Events wie die Museumsnacht, der Familientag oder andere kulturelle Aktivitäten. Im Winter bieten wir zum Beispiel eine ganz besondere Museumsführung mit Taschenlampen wie „Nachts im Museum“ oder „Auf der Suche nach dem Schlossgespenst“ für Kinder an.
Bei der Kulturnacht am Abend vor dem Internationalen Museumstag, dem 13. Mai 2008, und am Museumstag selbst hatten wir insgesamt 5.500 Besucher auf dem Schloss. Es war ein riesiger Erfolg. Das Programm war extrem vielfältig und bunt. Für die ganz Kleinen gab es einen Streichelzoo im Hof und die Kinderführungen waren alle sofort ausgebucht. Wir mussten schnell handeln und zusätzliche Führungen anbieten. Wenn man dann in der Veranstaltung den Kindern noch Wissen, wichtige Informationen zum Museum und über einzelne Objekte vermitteln kann, dann ist das wunderbar.
Es ist für uns einfach wichtig, die Menschen ins Schloss zu holen. Deshalb bieten wir über das Jahr hinweg zahlreiche Events und Podiumsdiskussionen für alle gesellschaftlichen Gruppen an.
Welche Medien werden von Ihnen und Ihrem Team genutzt, um die Öffentlichkeit zu erreichen?
Im Bereich Presse ist das Tagblatt unser erster Ansprechpartner. Sie wissen ja: Was im Tagblatt nicht steht, gibt’s in Tübingen nicht… Im Tagblatt erscheinen seit Jahren verschiedene Reihen, wie etwa „Der Schatz des Monats“. Unsere wissenschaftlichen Mitarbeiter stellen einzelne Objekte vor und recherchieren die Hintergründe. So kann Wissenschaft direkt an eine denkbar breite Öffentlichkeit kommuniziert werden. Zusätzlich gibt es dann die Presseberichte zu Ausstellungen, Eröffnungen und Sonderveranstaltungen. Wir nutzen aktiv eine große Bandbreite an sozialen Medien, wie Facebook, Instagram und haben eine sehr lebendige Website
Wie machen Sie das Museum im Alltag der Tübinger sichtbar?
Wir haben vor längerer Zeit eine Umfrage zum Bekanntheitsgrad des Museums der Universität durchgeführt. Dabei kam raus, dass 70 % der Tübinger noch nicht im Museum waren. Ich verstehe das bis zu einem gewissen Grad. Überall, wo ich fest gewohnt habe, bin ich selten oder erst kurz vor dem Ende meiner Zeit an diesem Ort in die Museen gegangen. Man denkt sich immer, da kann man ja noch morgen hingehen. Wenn man eine Stadt auf Reisen besucht, dann geht man dort immer ins Museum, weil man nur für eine kurze Zeit zu Besuch ist. Für uns stellte sich dann die Frage, wie kommen wir auch an die Tübinger ran? Wir haben dann eine Werbung in den Supermärkten an den Einkaufswägen geschaltet. Ich weiß nicht, ob es viel gefruchtet hat, aber wir wurden oft darauf angesprochen, weil es so ungewöhnlich war, dass die Uni bzw. das MUT dort warb. Das haben wir zumindest mal ausprobiert.
Zudem haben wir einige feste Plakatplätze; temporäre Plakatierungen mit der Stadt haben wir aufgegeben, die sind unattraktiv geworden. Durch eine Kooperation mit den Stadtwerken Tübingen haben wir nun aber einen Bus zur Verfügung gestellt bekommen, der rundherum von außen bedruckt wurde und auf verschiedenen Linien durch Tübingen fährt. Kurz: Im Prinzip nutzen wir die ganze Bandbreite, um die Bekanntheit des Museums zu stärken.
Sie waren im Sommer auf einer Exkursion in New York und haben exklusive Einblicke in verschiedene Studios vor Ort bekommen. Wie kam diese zustande?
Im Rahmen des Masterprofils „Museum & Sammlungen“, haben meine Kollegin Ursula Schwitalla und ich ein Hauptseminar gegeben mit dem Thema „Museen im 21.Jahrhundert“. Diese Veranstaltung wurde von der neuntägigen Reise gekrönt und war nicht zuletzt durch die Energie von Ursula Schwitalla möglich geworden, die uns viele sonst unzugängliche Türen geöffnet hat. In New York waren wir in einzelnen Häusern mit denen wir bereits zuvor verschiedene Kooperationen hatten. Also wir haben sehr stark mit Menschen kooperiert, die wir schon kannten, zum Beispiel mit Roger Griffith, dem Restaurator des Museum of Modern Art (MoMA). Ein anderes Beispiel ist die Factory von Dustin Yellin, einem Shooting Star aus Brooklyn, dem Lichtkünstler Anthony McCall oder der berühmten Architektin Annabell Selldorf. Das sind natürlich alles Zugänge über das dichte Museums- und Galerienprogramm hinaus, die man Kulturreisender normalerweise nicht bekommt. Für die Studierenden – und auch für uns – war das natürlich unvergesslich.
Sie sind davon überzeugt, dass Museen die Menschen in einem Zeitalter der Digitalisierung mehr denn je erreichen. Wie nutzen Sie die Digitalisierung zu ihrem Vorteil?
Indem wir eben ein Museum und seine tollsten Stücke online stellen. Das E-Museum war ein großes Projekt, das wir vor 5 Jahren gestartet haben. Wir haben eine zentrale Sammlungs-Datenbank erstellt und uns an Datenbanken von Universalmuseen orientiert. Zunächst mussten wir als Basis alle Daten sammeln, die wir dann katalogisiert haben. Es war nicht einfach, denn jedes Fach hat unterschiedliche Anforderungen, welche Daten aufgenommen werden müssen. Die Datierung in der Paläontologie ist natürlich anders als in der Kunstgeschichte. Wir sind in ständiger Kooperation mit der baden-württembergischen Objektdatenbank LEO BW, um dann das E-Museum online zustellen. Jetzt kann man die Objekte auch außerhalb Tübingens elektronisch abrufen. Zusätzlich haben wir jetzt ein auch 3D-Museum entwickelt, worin wir regional Vorreiter sind. Ich kenne überhaupt kein Museum an einer Universität – außer dem Smithsonian oder dem Ashmolean vielleicht -, die hier so weit sind. Damit können Interessierte die Objekte auf unserer Website und von allen Seiten betrachten.
Die digitalen Objekte scheinen dabei zum Greifen nah und trotzdem ist eine persönliche Führung durch die Ausstellungen des MUT ein besonderes Erlebnis. Durch die passionierte Arbeit von Herrn Seidl wird die Aura des Museums auf allen Kommunikationsebenen verstärkt. Wir waren überrascht von der Vielseitigkeit der Aufgaben als Museumsdirektor und bedanken uns bei Herrn Seidl für das spannende Gespräch.
Eine fiktive Museumsführung
Corina Stratmeyer begleitet in einem Podcast eine fiktive Museumsführung von Herrn Seidl und lernt dabei die einzelnen Aufgabenfelder von ihm kennen.