Im Experimentierfeld der digitalen Möglichkeiten
Alumni-Porträt über Barbara Kiolbassa vom Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe
Von Vera Fuller
Die Ausstellung Open Codes lief seit zwei Wochen, als ihre Kolleg*innen staunend auf sie zu kamen. „Barbara, in der Ausstellung ist ein Kunstwerk aufgetaucht, das kein Label hat. Was hat es damit auf sich?“, hieß es in einer Mail. Gefragt war Barbara Kiolbassa, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Museumskommunikation am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe. Barbara stürmte in den Ausstellungsraum, um der Sache auf den Grund zu gehen. Auch die Kurator*innen wussten von nichts.
Für Open Codes. Leben in digitalen Welten hatte Barbara mit ihrem Team informationstechnische Expertise ins Haus geholt: Beteiligt waren FabLab, das Open Knowledge Lab und Entropia e.V., der Karlsruher Chaos Computer Club. Jede Woche gab es gemeinsame Veranstaltungen und Workshops rund um Codes, Löten, Zusammenbauen sowie Datenschutz und Netzpolitik. Die Initiativen unterstützten die Umsetzung der Ausstellungsvision: Digitale Mündigkeit und ein Verständnis für das Programmieren sollten gefördert werden. Viele der teilnehmenden jungen Informatiker*innen konnten sich nicht vorstellen, wie sehr ihr Fachgebiet mit bildender Kunst zusammenhängt. Barbara machte ihnen klar: „Programmieren ist kreative Problemlösung. Da passiert enorm viel und es entstehen fantastische Bilder. Das ist versteckter Teil unserer visuellen Kultur. In der Ausstellung wollen wir dies sichtbar machen.“ Zwei Jungs vom Chaos Computer Club ließen ihrer Kreativität freien Lauf: Sie bauten ein eigenes Kunstwerk. Es handelte sich um ein Board zu Datenverschlüsselungen. Darauf waren Lichter angebracht, welche in unterschiedlichen Kombinationen aufleuchteten. Nach Drücken eines Schalters wurden neue Verschlüsselungskombinationen herausgerechnet. „Es war super!“, erinnert sich Barbara lachend, „Die haben uns das einfach hingestellt, nichts gesagt und den Ausstellungsraum gekapert.“ Das Verschlüsselungsboard wurde in die ZKM-Sammlung aufgenommen und hat ein Label bekommen. Das sind Momente unter vielen, für die Barbara ihre Arbeit besonders liebt.
Am ZKM war sie zunächst zwei Jahre Volontärin und hat dort nun eine feste Stelle. Ihre Aufgabe ist es, die Brücke zwischen der kuratorischen Abteilung und der Kunstvermittlung zu bilden. Barbara überlegt von Anfang an: „Wie kann man diese Ausstellung so gestalten, dass sie Teilhabe ermöglicht?“ Die Besucher*innen sind eingeladen, mitzudenken und mitzugestalten. Entstehen sollen Orte der Zusammenkunft. Gleichzeitig geht es darum, innerhalb der Ausstellungen möglichst viele Stimmen abzubilden. Dafür werden Expert*innen ins Boot geholt, die ihr Wissen und verschiedene Perspektiven einbringen. „Früher hat das Museum Wissen produziert und dieses Wissen in die Welt getragen. Heute ist das glücklicherweise im Wandel. Als Institution hinterfragt man sich zunehmend selbst. Man ist sich der Machtposition bewusst, die man innehat, wenn man Bedeutung nach außen transportiert.“ Eine Zielsetzung Barbaras ist es, die Idee von einer Ausstellung radikal zu verändern.
Studium in Tübingen: Faszination für Medien, Kunst und Gesellschaft
Einst war Barbara selbst begeisterte Besucherin des ZKM. Während des Masterstudiums der Medienwissenschaft befeuerte eine Exkursion dorthin ihre Begeisterung. Das Haus vereinte gesellschaftliche Fragestellungen, Kunst, Medientechnologien und Forschung. Barbara entdeckte darin ihre Schnittstelle. Die Ausstellung Global Activism war eine Inspiration für ihre Masterarbeit. Am Beispiel von Occupy Wall Street New York analysierte Barbara die Mediennutzung und visuelle Kultur der Protestbewegung. Dabei lag ihr Augenmerk auf dem neuen Ort, der durch die gemeinschaftliche Besetzung des öffentlichen Raums entstanden war. Für den Aspekt der Partizipation brennt sie bis heute in ihrem Beruf.
Zunächst hatte Barbara in Tübingen Geschichte und Kunstgeschichte im deutsch-französischen Bachelor studiert. Anschließend arbeitete sie als Praktikantin in der strzelski-Galerie in Stuttgart. Über ihr Interesse für visuelle Kultur und Bildwissenschaft ist sie auf den Master der Medienwissenschaft gestoßen. Sie hatte fest vor, dort „nur ein bisschen reinzuschnuppern“. Anschließend wollte sie Kunstgeschichte an einem neuen Standort im Master studieren. Dann kam alles anders: Der Studiengang Medienwissenschaft zog Barbara in seinen Bann. Sie engagierte sich vielseitig: Sie war beim Radio Wüste Welle, bei FestivalTV und leitete zusammen mit Kurt Schneider ein Seminar in Kooperation mit dem Ravensburger Museum Humpis-Quartier. Mit einer kleinen Produktionsgruppe unternahmen sie eine Recherche-Reise nach Barcelona. „Es wurden so viele tolle Projekte angeboten, sodass mir einfach nie langweilig wurde“, strahlt Barbara.
Mitten in ihrer Masterarbeit wagt Barbara ein Abenteuer: „Es hat mich einfach gepackt, da habe ich in einem Jux-Moment zum Hörer gegriffen.“ Daraus sind dann über drei Monate Island geworden – im Hafnarhús Art Museum, einem zeitgenössischen Kunstmuseum in Reykjavík. Sie wollte unbedingt das Land erleben, in dem sich 2009 ein revolutionärer Beteiligungsprozess ereignet hatte. Die isländische Bevölkerung hatte nach der Finanzkrise genug von einer Politik, die sich wirtschaftlichen Interessen gebeugt hat. Die Menschen dort haben sich daraufhin über soziale Medien organisiert und ihre eigene Verfassung geschrieben. Barbaras Praktikumsbetreuerin war selbst am isländischen Verfassungsprozess beteiligt und gab ihr einen eigens produzierten Film dazu mit – den Barbara nach Tübingen brachte und im Studiengang diskutierte. Während ihres Praktikums in Island hatte sie eine tolle Zeit – Barbara entwickelte Image-Filme, gab Führungen und evaluierte die Öffentlichkeitsstrategie. Ihr Rat ist es: „Wenn man Bock auf etwas hat, sollte man es einfach ausprobieren. Mal anrufen und gucken was daraus wird. Klappt es nicht, schaut man sich eben das Nächste an, das auf seiner Liste steht. Irgendwann flutscht es einfach.“
Herausforderung Pandemie: Zeit für Digitalität
Für zahlreiche Menschen im Kulturbereich ist die Pandemie eine Katastrophe. „Viele unserer freien Kunstvermittler*innen haben grade keinen Lohn“, erzählt Barbara. „Wir unterstützen sie, so gut es geht. Es ist ein Privileg, gerade eine gesicherte Stelle zu haben.“ Etwas Positives kann sie der Pandemie mit ihrem Team am ZKM dennoch abgewinnen: Für sie entsteht momentan ein gigantisches Experimentierfeld der digitalen Möglichkeiten. Die laufende Ausstellung Critical Zones hat das Team coronabedingt kurzerhand ins Digitale verlegt: „Es war ein wilder Ritt: Innerhalb von fünf Wochen war alles in eine digitale Ausstellungsplattform umprogrammiert.“
Für ein Live-Streaming-Festival wurde im ZKM ein eigenes Sendestudio aufgebaut. Gemeinsam mit der Leiterin der Presse- und Marketingabteilung hat Barbara die Moderation übernommen. Zahlreichen Menschen sollte die Teilhabe am Geschehen ermöglicht werden. Barbara brachte die Idee einer Telegram-Gruppe ins Spiel. Diese wurde umgesetzt und für jeden zugänglich gemacht. „Wir Moderatorinnen hatten stets das Handy im Blick. Fragen oder Kommentare haben wir live zurückgespielt in die Diskussionen, z.B. an Donna Haraway oder Bruno Latour. Das war großartig. Es ist über diese drei Live-Streaming Tage so eine tolle Telegram-Gruppe erwachsen, mit nach wie vor 1200 Mitgliedern, die sich bis heute über diese Themen austauschen.“
Für manch einen bedeuten Bildschirm-Konferenzen trübe Tage vor Kacheln hinter Glas. Nicht so für Barbara Kiolbassa: Der Elan schwingt in ihrer Stimme mit, wenn sie von ihren virtuellen Workshops erzählt: „Wir haben so coole Experimente gemacht. Besonders spannend sind die kleineren Formate, die z.B. auf Zoom stattfinden. Dabei sind Leute, die sich gegenseitig nicht kennen. Auf andere Art wären sie niemals zusammengekommen. Wir wenden Praktiken an, bei denen alle vor ihrer Kamera dasselbe machen, z.B. etwas bauen, kochen, oder essen. Manchmal schicken wir den Leuten Materialien nach Hause. Alle öffnen denselben Brief, halten dieselben Sachen in der Hand und gehen dann gemeinsam mit diesem Material um. Auf diese Weise wird man auch im Digitalen durch eine physische Komponente verbunden. Ich glaube, dass es keinen Sinn mehr macht, zwischen analog und digital zu trennen. Meines Erachtens geht es vielmehr um eine Erforschung der entstehenden Hybridität.“
Q&A mit Barbara Kiolbassa
Wie bist du zu der Stelle im ZKM gekommen?
Barbara: Das war wahnsinniges Glück! Eine Freundin schickte mir eine Stellenanzeige vom ZKM in der Museumskommunikation, Richtung Kunstvermittlung. Zuerst dachte ich an die Vorurteile gegenüber der Kunstvermittlung, die man als klassische Kunstgeschichtsstudierende anerzogen bekommt. Man hört oft, Kunstvermittlung sei nur Lachen, Klatschen und Basteln mit kleinen Kindern. Doch beim Lesen der Stellenausschreibung war ich begeistert: „Führungen leiten mit verschiedenen Zielgruppen“, „Partizipation ermöglichen“, „Innovative Formate entwickeln zwischen analogen und digitalen Medien“ und „Medienkompetenzen fördern“ gehörten zu den Aufgaben. Ich habe mich beworben und dachte mir: „Ich bekomme die Stelle sowieso nicht, die Bewerbungserfahrung kann nicht schaden.“ Daraufhin wurde ich nach Karlsruhe eingeladen und habe meine zukünftige Chefin kennen gelernt. Es war quasi Liebe auf den ersten Blick. Dann ging alles rasend schnell. Mir blieben anderthalb Monate, um die Masterarbeit fertig zu schreiben, eine Wohnung zu finden und für den Umzug. Ich schätze mich unglaublich glücklich, denn ich weiß von fast niemandem aus meinem Studiengang, bei dem es nahtlos in den Job übergegangen ist.
Welches Kunstwerk hat dich besonders inspiriert?
Barbara: Richtig überwältigt war ich von der Installation „Cloud Walk“ (Cloud Walk ZKM Fog Sculpture #10731, Fuji Nakaya) von der japanischen Künstlerin Fujiko Nakaya. Das war eine Außeninstallation am Kubus während der Ausstellung Negativer Raum. Über mehrere Monate hinweg ließen Wasserdampfspender auf dem ZKM-Vorplatz eine riesige Nebelwolke entstehen. Es war so toll, da hineinzulaufen, weil man plötzlich nichts mehr gesehen hat. Man war völlig desorientiert im Außenraum. Immer tummelten sich dort ganz viele Menschen, alle fanden es großartig. Die Installation schaffte eine Situation des Gemeinsamen auf eine sehr poetische Art und Weise, die man in seinem Alltag nicht erleben könnte. Wenn Kunstwerke das tun, passiert etwas sehr Besonderes. In diesem Moment muss ein Kunstwerk nicht unbedingt politisch sein. Auch wenn ich die Diskussion sehr spannend finde, ob Kunst mittlerweile nicht mehr politisch sein kann.
Erfährst du Resonanz, wie die Kunstvermittlung bei den Leuten ankommt? Gibt es spürbare Erfolge?
Barbara: Sehr schöne Frage, die gar nicht leicht zu beantworten ist. Viele kommen und gehen in die Ausstellung und hinterlassen keinen direkten Kommentar. Manchmal gibt es auf Social Media Posts, da freuen wir uns besonders. Bei den Workshops legen wir Wert auf einen offenen Prozess. Es gibt keine festgelegten Lernziele, die von allen erreicht werden müssen. Vielmehr geht es um Freiraum. Darin darf man ausprobieren und auch scheitern. Das ist ganz wichtig. Da ist es schwierig mit normalen Maßstäben des „Lernerfolgs“ zu messen. Wenn wir es schaffen, Türen aufzustoßen bei den Menschen, die uns besuchen und mit uns zusammenarbeiten, ist das schon grandios. Wir haben auch längerfristiger Projekte, bei denen wir z.B. Jugendliche über mehrere Monate hinweg begleiten. Das ist eine total schöne Community. Die kommen immer wieder und wir sind da super eng verbunden.
Wie sehen deine Zukunftspläne aus?
Barbara: Ich möchte auf jeden Fall gerne ins Ausland gehen. Das Tolle am ZKM ist, dass es international unglaublich gut vernetzt ist. Wir haben viele Partnerinstitutionen, z.B. in Asien. Zu erfahren, wie diese arbeiten, interessiert mich total. Letztes Jahr wollte ich bereits einen Forschungsaufenthalt dort machen – dann kam ja Corona. Mal schauen, wann das wieder möglich sein wird. Fest vor habe ich, noch andere Kunstvermittlungspraktiken kennen zu lernen. Ich habe inzwischen sehr viel gelernt, aber natürlich in einem deutschen Diskurs. Sehr gerne möchte ich einen nicht-westlichen Vermittlungsdiskurs kennen lernen. Das fände ich richtig schön. Ansonsten ich bin offen für neue Projekte und lasse die Zukunft auf mich zu kommen.
Was möchtest du noch loswerden?
Barbara: Ganz liebe Grüße an alle MeWi-Dozent*innen, besonders auch an Oli Häußler, Kurt Schneider, Oli Lichtwald und Susanne Marschall. Ich bin allen dort sehr dankbar. Sie haben mir einen Weg bereitet und Möglichkeiten eröffnet, die ich sonst nicht gehabt hätte und die mich bis heute gebildet und empowert haben.