Bild: Christina Schneider

A Dream of Reason

Alumni-Portrait über die Musikjournalistin und Musikerin Ariana Zustra

Von Jonas Drews

Künstlerdasein und Journalismus verbinden? Ariana Zustra gelingt dieser kreative Spagat. Sie schreibt für den Musikexpress, den Rolling Stone und veröffentlicht ihre eigene Musik. In Coronazeiten ist die Künstlerbranche kein einfaches Berufsfeld. Doch die ehemalige Tübinger Studentin weiß, worauf sie sich eingelassen hat. 

Es ist der Frühling im Jahr 2017. Ariana Zustra entschließt sich, einen Wunsch zu realisieren, den sie schon länger hat. Vier Jahre nach ihrem Abschluss in Tübingen unternimmt sie eine besondere Reise und radelt von Sigmaringen in der Nähe des Bodensees in die ehemalige studentische Heimat. Nach einer zehrenden Tagestour erreicht sie müde und hungrig die Ortstafel des Stadtteils Derendingen. Im Hintergrund plätschert leise die Steinlach. Die idyllische Atmosphäre lässt sie in Erinnerungen schwelgen.

Die suchende Künstlerin

Ariana wird 1987 im in Kroatien liegenden Dubrovnik geboren. Ihre Kindheit und Jugend verbringt sie in der Kreisstadt Überlingen am nördlichen Bodenseeufer. Schon früh wird klar, dass ihre Fähigkeiten im künstlerischen Bereich besonders ausgeprägt sind: Theater spielen, Zeichnen und Tanzen sind dabei nur einige ihrer zahlreichen kreativen Passionen.

Erste praktische Erfahrungen sammelt sie als Regieassistentin am Stadttheater Konstanz und als Hospitantin in der Dramaturgie. Trotz großer Freude an diesen Hobbys entsteht bei ihr der Eindruck, dass diese „brotlose Kunst“ seien und nicht als ernsthafte Berufe ausgeübt werden könnten. Die prekäre finanzielle Lage vieler Künstlerinnen und Künstler ist eine Problematik, mit der sich viele Kreative auseinandersetzen müssen. Ariana stellt sich also die Frage, in welchem Feld sie ihre vielen Interessen bündeln und ihre Berufung finden kann.

Tübingen – Der Ort der „Erweckung“

Bild: Christian Goebel.

Die Suche nach einer Antwort führt sie in die Universitätsstadt Tübingen, wo sie Empirische Kulturwissenschaft und Soziologie studiert. Auch Seminare der Medienwissenschaft besucht die gebürtige Kroatin aus Interesse am Fachbereich regelmäßig. Ebenso Kurse der Slavistik und internationalen Literatur. Ariana ist dabei äußerst bildungsbeflissen und findet Erfüllung im Lernen: Sie möchte quasi „wie ein Schwamm alles Wissen aufsaugen.“ Zunächst noch mit dem Ziel, die theoretischen Wirkungsweisen und Perspektiven der unterschiedlichen Disziplinen zu verstehen, zieht sie sowohl die wissenschaftliche Arbeit an der Universität als auch eine berufliche Tätigkeit als Soziologin in Erwägung. Für Ariana ist die Zeit in der Universitätsstadt „wie eine Art Erweckung“ und „eine der schönsten Zeiten in meinem Leben.“ In ihren Erzählungen wird deutlich: Die Jahre in Tübingen waren bereichernd, lehrreich, bunt – und lustig! Heute kann sie auf zahlreiche Anekdoten aus der „ wohlwollenden Stadt“  zurückblicken.

Die freie Journalistin

Im Laufe der Jahre, die sie in Tübingen verbringt, kommt Ariana schließlich die Erkenntnis: Der vermutlich einzige Beruf, der ihr das Arbeiten mit ihren vielen Interesse ermöglicht und jeden Tag eine neue Herausforderung bieten kann, ist der Journalismus. Daran gefällt ihr vor allem die Vielseitigkeit und die Abwechslung: Einen Tag wissenschaftlich schreiben, an einem anderen moderieren, dann wieder recherchieren und Interviews führen, und bei alledem stets mit unterschiedlichen Themen konfrontiert werden. Das klingt genau richtig! Sie spürt, dass ihr dabei vor allem das freie Arbeiten wichtig ist. Eine Festanstellung mit immer gleicher Arbeitsweise  bietet für sie zu wenig Vielseitigkeit oder die Möglichkeit, sich in Themen zu vertiefen. So folgen im Anschluss an das Studium Ausbildungen an der Axel-Springer-Akademie und der Reportagenschule in Reutlingen sowie ein Volontariat beim Rolling Stone.

Heute schreibt, moderiert und rezensiert sie u.a. für Musikexpress, den RBB und Spiegel Online und kann schon jetzt auf zahlreiche Erfolge zurückblicken. Ihr 2019 erschienener Beitrag zum Thema „Blackfishing“ (die Aneignung von Attributen und Aussehen von People of Color für Marketingzwecke) wurde im Rahmen des Reeperbahn-Festivals zur besten musikjournalistischen Arbeit des Jahres gekürt und mit dem International Music Journalism Award ausgezeichnet. Während einer Festanstellung wäre die Umsetzung solch eines Essays schwieriger umzusetzen gewesen, glaubt Ariana. „Gut Ding will Weile haben. Mir die Zeit für solch einen Text nehmen zu können, verdanke ich auch der selbstständigen Arbeitsweise, die ich mir genehmigen konnte.“

Wenn Ariana einen solchen Beitrag konzipiert liegt, für sie der beträchtlichste Teil der  Arbeit nämlich in einer zeitaufwändigen Vorrecherche: Jeden Schnipsel lesen, den sie finden kann, Videos ansehen,Informationen exzerpieren. Erst, wenn sie das Gefühl, hat einen Überblick über das Feld zu bekommen und einen roten Faden entdeckt zu haben, beginnt sie das eigentliche Verfassen des Textes. Dabei hat sie es, aufgrund ihrer intensiven Vorbereitung, meist leicht, passende dramaturgische Elemente einzubauen und kann den Beitrag in der Regel ohne Schreibblockaden fertigstellen.

ZUSTRA – Dark Dream Pop aus Berlin

Ariana ist jedoch nicht „bloß“ als Musikjournalistin aktiv. Sie ist auch selbst begeisterte Musikerin. Ihr Solo-Projekt ZUSTRA wurde im Januar 2021 auf Platz 2 des tip-Pop-Orakels gewählt. Sie zählt damit zu den gefragtesten Newcomer*innen der Hauptstadt.

Bild: Thomas Künzel.

Ihr “Dark Dream Pop” zeichnet sich vor allem durch sphärische Synthies und markante Beats aus, die die Instrumente und die kleinen, aber prägnanten Soundelemente auf dynamische Weise miteinander vermischen. Damit möchte sie für ihre Hörer*innen eine ruhige, klangliche Traumwelt erschaffen. „Dieses Elegische, Melancholische ist bestimmt etwas, was man meiner Musik attestieren kann“, sagt sie, auf einige Reviews angesprochen. Inspiration zieht die gebürtige Kroatin u.a. aus dem Trip Hop, den sie als Jugendliche intensiv gehört hat und der nach wie vor das „gediegene“ Tempo ihrer Songs prägt. Auch Baroque-Pop-Superstar Lana Del Rey zählt sie zu ihren großen Einflüssen. Dabei betont sie aber auch, dass sich solche Inspirationen nie eine zu eins auf einen Stil übertragen lassen. Vielmehr können es oft einzelne subtile Elemente wie eine Snare oder eine Bassline sein, die sie beim Hören plötzlich auf eigene Ideen bringen. „Der Anstoß kann sogar auch mal aus einem Heavy-Metal-Song stammen”, sagt sie. Die Glocken auf  ihrer vorletzten Single beispielsweise sind geprägt von Pink Floyds High Hopes.

Derzeit arbeitet Ariana an ihrem Debütalbum The Dream Of Reason, das  für den 25. Februar 2022 geplant ist.

Kunst und Corona

Wie für fast alle freischaffenden Künstler*innen war auch für Ariana die Pandemie keine leichte Zeit, durch die sie es vor allem durch ein Engagement bei einem ihrer Auftraggeber, der künstlerischen Initiative PODIUM Esslingen, schaffte. Insbesondere deren großes Projekt #bebeethoven, bei dem sie als u.a. Chefredakteurin und Social-Media-Beraterin agierte, brachte sie erfolgreich durch das Jahr 2020. „Ich kann sagen, der gute alte Beethoven hat mir eigentlich die Pandemie gerettet.“ Für diese Möglichkeit ist sie immer noch sehr dankbar. 

Bild: Christian Schneider.

COVID-19, die Digitalisierung und der gesellschaftliche Wandel bringen auch Veränderungen für Arianas Berufsbild mit sich. Die Musikjournalistin der Zukunft könnte ihrer Meinung nach anders aufgestellt sein, als das derzeit noch der Fall ist. Die klassischen Printmagazine, die Albumveröffentlichungen unterworfen sind, finden immer weniger Publikum, während andere Verbreitungswege wie Podcasts, Playlists und Social-Media-Formate wichtiger werden. Jede Art von Medium muss mitgedacht und beherrscht werden. „Die wohl wichtigsten Fähigkeiten für diese Veränderungen sind Flexibilität, Offenheit und Innovativität“, so Ariana. Die einordnende Funktion von Musikjournalist*innen und Rezensent*innen findet sie dabei – entgegen lauter werdenden Stimmen, die baldige Irrelevanz prophezeien –  nach wie vor wichtig. „Gerade in einer Welt, die so medial überladen ist wie unsere, ist Kuratieren wichtig.“

So sehr, wie sie ihre Rückkehr nach Tübingen genießen konnte, wünscht Ariana auch allen jetzigen Studierenden eine gute Zeit für die Post-Corona-Zukunft. „Auf irgendwelche Partys in irgendwelchen verrauchten Kellern in Tübingen zu feiern, noch nicht so genau zu wissen, was man eigentlich mit sich anfangen soll – und irgendwie trotzdem eine  gute Zeit zu haben. Weil das gehört schließlich ebenso zum Uni-Alltag wie Vorlesungen, Seminare und Klausuren.“ Sie hofft, dass all das bald wieder ins Studierendenleben zurückkehren kann – und dass die jetzigen Studierenden eine ebenso gute Zeit an der Uni Tübingen haben, wie sie es hatte.