Zwischen Sexualisierung, Stereotypen und fehlender Repräsentation
Die Frau im „Superhero“-Genre
Von Annika Wolfer
Frauenrollen im Film ist ein Thema, das heutzutage mehr im Fokus steht als je zuvor. Da ist auch das „Superheld*innen“-Genre, das wir beispielsweise von Marvel und DC kennen, keine Ausnahme. Ob Black Widow, Captain Marvel oder Wonder Woman, weiblich gelesene Superheldinnen wirken präsent in der Filmwelt, doch entspricht diese erste Wahrnehmung der Realität?
Superheld*innen-Filme waren und sind sehr beliebt. Dies ist unter anderem erkennbar an den Erfolgen der Avengers Filme. Jedoch fokussieren sich diese Filme in den meisten Fällen auf männliche Protagonisten. „There was always a myth that women’s stories don’t sell“ [1], das sagt Victoria Alonso, Präsidentin für “physical, postproduction, visual effects und animation” von Marvel [2], über die Einstellung, die Hollywood gegenüber Filmen mit weiblichen Protagonistinnen hat. Diese Einstellung ist in Filmuniversen, wie dem Marvel Cinematic Universe, erkennbar und zeigt, dass der Weg zur Gleichstellung in der Filmwelt noch weit ist.
Der Bechdel Test – Stereotypen über Frauen im Film
Der Bechdel Test [3] ist ein Fragenkatalog, welcher Rezipierenden helfen soll, Stereotype über weiblich gelesene Personen in Filmen wahrzunehmen. Es handelt sich dabei um ein Konzept der Comic-Autorin Alison Bechdel. In der ursprünglichen Version des Tests gibt es drei Fragen. Inzwischen gibt es eine zweite Version des Bechdel Tests, welche eine weitere Frage beinhaltet.
Infobox
Um welche Fragen handelt es sich?
- Gibt es mindestens zwei Frauenrollen?
- Sprechen sie miteinander?
- Unterhalten sie sich über etwas anderes als einen Mann?
- Wenn es mehrere Frauenrollen gibt, haben sie auch alle einen Namen? (Hierbei handelt es sich um die später hinzugefügte Frage)
Der Bechdel Test ist dabei allerdings nur ein guter Anhaltspunkt und kein generelles Gütesiegel, dass ein Film eine ausreichende Repräsentation besitzt. So umfasst das MCU aktuell 26 Filme (stand Dezember 2021, ohne Spider-Man: No Way Home), 14 von ihnen bestehen den Bechdel Test [4]. Unter anderem Iron Man 2, den man keinesfalls als einen Film mit einer angemessenen weiblichen Repräsentation bezeichnen kann, aber dazu später mehr.
Wie hat sich die Rolle der Superheldin entwickelt?
Als in den 1930er Jahren die ersten Comics aufkommen ist das Zielpublikum männlich. Die Protagonist*innen in den Comics sind männlich und die Frau übernimmt die Funktion eines Accessoires. Sie ist dazu gedacht, ein romantisches Interesse des Protagonisten darzustellen [5]. Die Darstellung der Frau in Comics entspricht dabei ihrer gesellschaftlichen Rolle zur damaligen Zeit. So wurde in Comics in den 1940ern Frauen gezeigt, dass sie mehr können als ein „Hausfrauen“ Dasein zu führen, da sie in Folge der Zweiten Weltkriegs als Arbeitskräfte benötigt wurden [6]. Sie sind wichtige Symbole für den Patriotismus und die Unabhängigkeit in dieser Zeit. Mit Ende des Krieges endet auch diese Darstellung von weiblich gelesenen Rollen in Comics, was sich darin äußert, dass weibliche Superheldinnen zunächst zu Sidekicks werden und schließlich komplett verschwinden.
Superheldinnen in Comics sind meistens das weibliche Gegenstück zu bereits existierenden Superhelden. Man sieht dies zum Beispiel an She-Hulk und Hulk, wobei die weibliche Heldin durch den männlichen Helden überhaupt erst eine Rolle bekommt. Doch nicht nur das ist bedenklich, wenn es um die Darstellung von Frauen in Comics geht. Hinzu kommt die Sexualisierung von Frauen durch den primären Fokus auf ihre Körper und ihr Aussehen. „Comics have traditionally exploited women for male readership“, ist ein Zitat von Larew (Autor von Planet women: The image of women in Planet Comics) aus dem Jahr 1977, welches diese Darstellung von Frauenrollen noch einmal unterstreicht. Es ist jedoch wichtig zu sagen, dass sich die Rolle der Superheldin in Comics weiterentwickelt hat und die derzeitige Entwicklung zeigt, dass es vermehrt einen Fokus auf Comics mit weiblich gelesener Protagonistin gibt.
Betrachtet man nun die Filme des MCU oder DCEU im Vergleich, so fällt direkt auf, dass mit Wonder Woman (2017) und Captain Marvel (2019), jeweils die ersten Solo Filme einer Superheldin, erst lange nach Beginn der beiden Film-Universen (erster MCU Film 2008, erster DCEU Film 2013) in die Kinos kommen. Zwar gab es mit Black Widow und Scarlet Witch bereits zuvor weibliche Superheldinnen im MCU, und auch DC hatte bereits andere weibliche Rollen in ihren vorherigen Filmen, doch diese standen nie im Zentrum der Handlung.
„In the beginning she was used as a kind of chess piece for her male counterparts” – Das Beispiel Black Widow
Um auf die Entwicklung der Superheldinnen Rolle im Film genauer einzugehen, ist es sinnvoll ein Beispiel zu betrachten. Die erste Superheldin, die im MCU vorgestellt wurde, ist Black Widow alias Natasha Romanoff. Sie wird von Scarlett Johansson gespielt und anhand ihrer Entwicklung kann man die generelle Entwicklung der Frauenrolle in diesem Genre gut erkennen. Ihr erster Auftritt ist in Jon Favreaus‘ Iron Man 2 und schon in ihrer ersten Szene zeigt sich die starke Sexualisierung ihres Charakters. Nachdem Natasha Tony Starks (Iron Man) Assistenten Happy in einem Boxring seine Grenzen aufzeigt fragt Tony „Who is she?“, woraufhin er die Antwort bekommt „Potentially a very expensive sexual harassment lawsuit“. Auch ihr Kostüm in diesem Film zeigt, dass es mehr darum geht ihren Körper zur Schau zu stellen, als ein tatsächlich für die Handlung sinnvolles Kostüm zu kreieren. Ihr hautenger Kampfanzug ist nicht mit Schutzpolsterungen ausgestattet, besitzt stattdessen aber einen tiefen Ausschnitt. Auch in Marvel’s The Avengers gibt es kaum Fortschritte was die Darstellung ihres Charakters angeht. Noch immer ist ihr Kostüm statt zweckbezogen körperbetonend. Sie beginnt den Film in einem engen Kleid an einen Stuhl gefesselt und gibt vor wehrlos gegenüber einer Gruppe von Männern zu sein. Sie nutzt diese Annahme von Wehrlosigkeit, die Männer ihr entgegen bringen, mehrfach im Film zu ihren Gunsten. Johansson äußert sich über diese anfängliche Darstellung folgendermaßen: „In the beginning she was used as a kind of chess piece for her male counterparts.“ Selbst Avengers: Age of Ultron (2015) bringt noch keine Verbesserung für die Rolle der Superheldin. Vor allem die Szene, in der Romanoff sich, auf Grund der Tatsache, dass sie keine Kinder bekommen kann, als „Monster“ bezeichnet, sorgt nach Veröffentlichung des Films für Entrüstung. Auch die aufkeimende Romanze mit Bruce Banner ist laut Johansson „again dependent on another man’s desire“.
Doch nicht nur die Filme selbst behandeln den Charakter Black Widow in dieser Art und Weise. In einem Interview rund um den zweiten Avengers Film nennen Jeremy Renner (Hawkeye) und Chris Evans (Captain America) Romanoff „a slut“ auf Grund ihrer Flirts im Laufe der Filme. Nach acht Filmen, in denen Romanoff eine mal größere und mal kleinere Rolle spielt, bekommt sie 2021 mit Black Widow von Cate Shortland einen eigenen Film. Shortland selbst bezeichnet Natasha Romanoff als „a character created for the male gaze” [7]. Darüber hinaus meint sie, dass selbst die Art wie sie sich bewegt und ihre Kleidung auf Grund des „male gaze“ so gewählt wurden. „It was helpful as a stepping-stone. But it wasn’t who she was”. In ihrem eigenen Film sieht man deutlich den Weg, den diese Heldin im Laufe der Filme gegangen ist. Der Film thematisiert den Sexismus und die Objektivierung, die Romanoff in den Filmen, und die Frauen auch in der realen Welt erleben müssen. Ihr Kostüm ist deutlich mehr auf Praxis ausgelegt, und auch die generellen Rollenverteilungen in diesem Film zeigen die Veränderungen der letzten Jahre. In den meisten MCU Filmen ist die Mehrzahl an Charakteren männlich gelesen. In diesem Film jedoch sind von den vier Protagonist*innen drei weiblich gelesen.
Wie geht es weiter?
Man kann nicht nur anhand der Entwicklung von Natasha Romanoff sehen, dass Filmstudios wie Disney oder Warner Bros. zunehmend mehr Produktionen in Auftrag geben, in denen um Superheldinnen statt Superhelden geht. Bereits im Dezember 2021 gibt es mit Hailee Steinfeld als Kate Bishop eine weitere Heldin, die durch die Disney+ Serie Hawkeye eingeführt wird. Außerdem stehen bereits weitere Serien, wie Ms. Marvel und She-Hulk in den Starlöchern. [8] Und auch für Natasha Romanoff gibt es, nach ihrem Tod in Avengers: Endgame, mit Yelena Belova bereit eine Nachfolgerin. Man kann anhand dieser und weiterer geplanter Projekte eine klare positive Entwicklung erkennen, auch wenn Filmstudios und Regisseur*innen weiter daran arbeiten müssen komplexe und vielschichtige weibliche Charaktere ins Superheld*innen-Genre einzuführen.
Quellen:
[1] https://time.com/6077666/black-widow-scarlett-johansson/
[3] https://www.rollingstone.de/bechdel-test-film-frauen-erklaerung-1604147/
[4] https://screenrant.com/marvel-movies-pass-bechdel-test-feminist/
[5] https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/film/2020271-Marvels-fescher-Fake-Feminismus.html
[7] https://thedirect.com/article/marvel-studios-women-superheroes-producer
[8] https://www.netzwelt.de/news/171890-marvel-filme-2021-2022-2023-phase-4-phase-5-mcu-zukunft.html