Was, wenn wir Recht haben?
Ein Einblick in die Welt der Klimaklagen
Von Fay Daudert
Bei sogenannten Klimaklagen werden Maßnahmen zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Anpassung an den Klimawandel angestrebt. Immer mehr Menschen gehen mit diesen gerichtlich gegen Regierungen und Konzerne vor, so auch die fiktive Protagonistin in diesem Feature.

Quelle Foto: Matt Palmer (unsplash.de)
Das 1.5 Grad-Ziel. Diese Zahl macht mir keine Hoffnung mehr. Zehn Jahre nachdem es beschlossen wurde, hat man das Gefühl, dass sich die Politik in einer Parallelwelt befindet und uns erzählen will, dass das Ziel noch erreichbar ist. Gleichzeitig bezeugen KlimawissenschaftlerInnen, dass Deutschland schon jetzt sein CO₂-Budget verbraucht hat. Ich weiß also, dass sich nichts ändern wird, wenn wir so weitermachen. Wir – Was bedeutet das eigentlich?
Ich scrolle gelangweilt durch die Nachrichten-Snippets auf meinem Smartphone und frage mich, warum ich mir die deprimierenden Zahlen, Fotos und Worte reinfahre und wieso ich mit meinen FreundInnen so selten darüber spreche. Ich lege mein Handy weg, lasse meinen Blick aus dem Fenster gleiten und mir läuft es kalt den Rücken herunter. Es ist Herbst, grau, diesig und auf der Straße regt sich nichts. Da muss ich später raus, obwohl ich mich kaum aufraffen kann. Meine Freundin ist zurück aus dem Ausland, dort hat sie angefangen Jura zu studieren und ich bin schon etwas neugierig, was sie zu berichten hat.
Wir sitzen fröstelnd hinter der beschlagenen Scheibe des Cafés und wärmen unsere Hände an den Kaffeetassen. Sie erzählt mir aufgeregt von ihrem letzten Jahr und ist besonders begeistert davon, sich auf europäisches Recht zu spezialisieren. „Vor dem EGMR, also dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, können Menschen wie Du und ich klagen, damit beispielsweise Staaten Menschenrechte bewahren.“ Ich nippe an meinem Cappuccino und runzle die Stirn. „Aber was genau wird dann eingeklagt? Sowas wie Meinungsfreiheit?“ Sie nickt, „Ja, zum Beispiel das, oder ganz simpel, nach Artikel 2, das Recht auf Leben. Zu solchen grundsätzlichen Rechten haben sich europäische Länder verpflichtet, indem sie einen Vertrag geschlossen haben – die Europäische Menschenrechtskonvention.”
Fürs Klima vor Gericht?

Quelle Foto „Backbag“: Filmbetrachter (Pixabay)
Mein Blick schweift aus dem Fenster und ich blinzle in die aufkommenden Sonnenstrahlen, während ich verzweifelt versuche, mich weiter auf das Gespräch zu konzentrieren. Etwas fängt an, sich in mir zu regen, ich kann es aber noch nicht ganz greifen. Die Straßen sind beinahe menschenleer, nur einzelne dick eingemummelte Gestalten huschen durch die Kälte. Mein Blick bleibt an einem Plakat kleben, das an einem Pfosten vor dem Café befestigt ist: Fight for Climate Justice – We stand together! Internationaler Streik am 16.04. Und plötzlich schießt es mir blitzartig durch den Kopf und ein klares Bild zeichnet sich ab, das mich schwindeln lässt: “Hey, wie ist das eigentlich mit der Klimakrise? Könnte man – also auch ich, ganz theoretisch, vor Gericht gehen? Und-” Meine Freundin grinst breit und nickt, “Ja, voll! Klagen beziehen sich beispielsweise auf bestimmte Grundrechte, das könnte auch das deutsche Versammlungsrecht oder die Glaubensfreiheit sein, die im Grundgesetz stehen. In Deinem Fall wäre der Artikel 20a des GGs interessant…” Ich nicke gespannt und hake nach: “Wie meinst Du das?” Meine Freundin führt begeistert aus: “Laut Artikel 20a ist der Staat in der Verantwortung, die Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen zu schützen. Das ist leider nicht so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellt. Denn Einzelpersonen können diesen Artikel nicht einfach einklagen, aber Verbände haben damit bessere Chancen. Alternativ könntest Du vor Gericht so argumentieren, dass die Bundesregierung sich an ihre eigenen Ziele in Bezug auf den Klimaschutz halten muss, damit die Grund- und Menschenrechte der Bevölkerung gewährleistet werden können. Und Menschenrechte kann man tatsächlich auf verschiedenen Ebenen geltend machen, so kannst Du sie zum Beispiel vor europäischen und deutschen Instanzen einklagen.”
Im Gespräch kommen wir schließlich vom Einklagen von Menschenrechten zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens und ich habe nun das Gefühl, ein bisschen besser durchzublicken. Von den ganzen Begriffen, „Gerichtshöfe“, „Klauseln“, “Bescheide”, “Verbandsklagen”, “juristischen Personen” sausen mir die Ohren – und doch gehen mir die Klagen fürs Klima nicht aus dem Kopf. Könnte das etwas sein, mit dem ich tatsächlich etwas bewirken kann?
Es regt sich etwas

Quelle Foto „Bänke“: Kelly Sikkema (unsplash.de)
Es ist noch kälter geworden und der in den letzten Jahren zur Seltenheit gewordene Schnee flockt auf meine Kleidung. Ich beeile mich und ich versuche dabei nicht auszurutschen, denn ich bin mal wieder zu spät. Mittlerweile habe ich mich dem deutschen Umwelt-Verband “Grüner Specht” angeschlossen, um Teil einer Klimaklage zu sein. Mein Alleinsein kontere ich mit einem unterschriebenen Mitgliedsantrag und einem Versprechen an mich selbst, Dinge nicht länger als gegeben hinzunehmen. Ich öffne hastig die Türe zum Büroraum und winke in die Runde, bevor ich mich auf einen freien Stuhl setze. Wir diskutieren hitzig, manchmal kann ich mich mehr einbringen, manchmal weniger. Das Rechtssystem hat seine ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten, sozusagen sogar seine eigene Sprache, die mir immer vertrauter wird. So bedeutet eine “Klagebefugnis” zum Beispiel, dass KlägerInnen vor dem Anklageprozess erst vorweisen müssen, dass ihre eigenen Rechte prinzipiell durch eine Anordnung verletzt werden können. Ich lerne verschiedene juristische Instanzen kennen und setze mich mit den Fristen auseinander. Alle “Wanns” und “Wies” werden von uns im Detail besprochen.
Ein paar Wochen später schlägt mir der Wind um die Ohren und obwohl es ungenießbar kalt ist, lassen die wenigen wärmenden Sonnenstrahlen Hoffnung in mir aufkommen. Die erste Hürde ist genommen – wir sind klagebefugt. Das Warten in mit Stuck verzierten richterlichen Großräumen neben grimmigen Gesichtern und kontinuierliches nächtliches Schwitzen über Papierstapeln hat sich gelohnt.
Und dann? Mehr Warten. (Wiederholtes) Aus-Dem-Fenster-Schauen. Plakate lesen. Alltag.
Warten.
Zwischen Hoffnung und Mühseligkeit

Quelle Foto „Schneeglöckchen“: Pat_Photographies (Pixabay)
Ein Sonnenstrahl fällt auf mein Gesicht, als ich einen Monat später das Gerichtsgebäude verlasse. Dieser scheinbar nicht enden wollende Winter voller Arbeit steckt uns noch tief in den durchgefrorenen Knochen. Doch draußen auf der Wiese blühen schon die ersten Schneeglöckchen. Ich nehme einen tiefen Atemzug – die Luft ist kühl und frisch und weckt mich auf. Wir befinden uns im Prozess, im wahrsten Sinne des Wortes. Die erste Instanz, das erste Verfahren, ist gewonnen, aber wie üblich ist die Gegenseite – ein deutscher Ölkonzern – in Revision gegangen, sie wollen das Urteil also nochmals prüfen lassen. Hinter mir kommen die anderen “Grünspechte” aus dem Gebäude. “Hey, schau nicht so trübsinnig – jetzt feiern wir erstmal“, ruft Ricardo, “lasst uns Energie für den nächsten Termin tanken. Bis dahin müssen sie mit uns verhandeln – das ist doch schonmal was. Und mit jedem Fall, den wir gewinnen, werden wir es ihnen schwerer machen.”
Amela stößt nun auch noch dazu und reißt mich aus meinen Gedanken: “Entschuldigt meine Verspätung – ich wurde von den schweizer Klimaseniorinnen aufgehalten! Sie hatten damals vorm Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte recht bekommen und beglückwünschen uns zu dem Urteil. Sie haben auch geschrieben, dass sie sich gerne mal mit uns zusammensetzen würden.”
Ich blinzle Amela und die anderen an, die Sonne hat mir lila Flecken in mein Sichtfeld gelegt. Es ist schwierig, sie zu erkennen, aber ich lausche ihren energetischen und aufgeregten Stimmen und denke: Was, wenn wir Recht haben?