Waldbesetzung in Tübingen
Ausbau des Schindhausbasistunnels soll verhindert werden
Von Jessica Dietz
Eine Gruppe von Aktivist*innen besetzte in der Woche vom 17. November bis 24. November 2024 ein Waldstück beim französischen Viertel. Sie protestieren damit gegen den geplanten Ausbau des Schindhaubasistunnels und der B27 und versuchten eine breite interessierte Öffentlichkeit für eine Veranstaltung am 2. Dezember 2024 zu schaffen, bei der die Pläne zum Tunnelbau bekannt gegeben wurden.
Jessica Dietz: Ihr habt nun eine Woche das Waldstück beim französischen Viertel besetzt, um gegen den dortigen Ausbau der B27 und den geplanten Schindhaubasistunnel zu protestieren. Stelle dich doch bitte vor und erläutere für die Leser*innen kurz, worum es in diesem Projekt geht.
Lena Mapler: Ja, gerne. Also ich bin Lena Mapler und habe mit einer Gruppe Aktivist*innen ein Waldstück genau da besetzt, wo das zweiröhrige Tunnelsystem eines Bundesstraßentunnels in der Zukunft verlaufen soll. Dieser soll laut Befürworter*innen die Verkehrsbelastung erheblich reduzieren. Wir haben dort in der Nacht von Sonntag auf Montag Baumhäuser gebaut und eine Besetzung installiert. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass Straßenausbau inzwischen wenig Sinn ergibt, wenn die Verkehrswende konkret angegangen werden soll. Ausbau vergrößert das PKW-Problem, statt es zu verkleinern und die Umstiegsmöglichkeiten auf den ÖPNV bleiben weiterhin unterfinanziert. Auch die Annahme der Politik und des Gemeinderats vor Ort, dass alle Anwohner*innen Befürworter*innen des Tunnels sind, um die Verkehrsbelastung durch die Bundesstraße zu reduzieren, wollten wir widerlegen.
„Ausbau vergrößert das PKW-Problem, statt es zu verkleinern und die Umstiegsmöglichkeiten auf den ÖPNV bleiben weiterhin unterfinanziert“
Jessica Dietz: Für Anwohner*innen und Interessierte gab es in diesem Rahmen jeden Tag einen „Tunnel-Talk“. Wie waren die Reaktionen darauf?
Lena Mapler: Es kamen insgesamt sehr viele Menschen, zu allen Tageszeiten. Viele haben das Angebot auch zum Anlass genommen, sich ganz grundsätzlich darüber zu informieren, was passieren soll und welche Perspektiven es gibt. Die Reaktionen waren aber sehr gemischt. Die meisten, die gekommen sind, waren keine radikalen Befürworter*innen des Tunnels. Es gab viel Zustimmung für die Verkehrsentlastungsmaßnahmen, die wir fordern und sehr viele Beschwerden über bestehende Ampelschaltungen, wie die am Hechinger Eck. Da gibt es natürlich einen Bias, aber es gab auch viele Leute, die den Tunnelausbau vor 20 Jahren als positiv empfunden haben und sich nun nicht mehr sicher sind und wissen wollten, was dieser Tunnel konkret mit der Verkehrswende zu tun hat und was wir mit unserem Protest bezwecken.
Jessica Dietz: 20 Jahre klingt für mich erstmal nach einem erheblichen Zeitraum. Wie lange gibt es bereits Pläne für den Tunnel bei Tübingen?
Lena Mapler: Die Pläne für den Bundesstraßentunnel bei Tübingen existieren bereits seit 60 Jahren. Die erste Idee wurde in den Entwicklungs- und Raumplänen formuliert. Der Gemeinderat hat dann im Jahr 2002 für die aktuelle Version des Projekts gestimmt. Bei Projekten, die im Bundesverkehrswegeplan stehen, dauert alles immer verhältnismäßig lange. Bis es dann in den vordringlichen Bedarf kommt, dauert es noch länger. Insgesamt umfasst das Projekt 80 Jahre zwischen Idee und Umsetzung, wenn wir die geplante Umsetzungs- und Bauzeit von 20 Jahren noch draufrechnen.
Jessica Dietz: Wir befinden uns inzwischen mitten in der Klimakrise. Deutschland hat sich vorgenommen bis 2045 klimaneutral zu sein, wozu auch eine umfassende Verkehrswende gehören sollte. Gleichzeitig wird an den Plänen für den Tunnel festgehalten und das Entlastungsmoment hervorgehoben. Wie seht ihr das?
Lena Mapler: Wenn neue Möglichkeiten für PKW durch den Ausbau von Verkehrswegen geschaffen werden, werden diese auch genutzt. Das nennt sich induzierter Verkehr. Das heißt der Tunnel würde die Südstadt vielleicht kurzfristig tatsächlich entlasten, langfristig würde sich der Verkehr aber an die neuen Möglichkeiten anpassen, der Bedarf würde den Ausbau wieder übersteigen und es wäre eine weitere Anpassung nötig. Auch die Baumaterialien tragen zur Klimakrise bei, Zement ist einer der weltweit größten Klimakiller.
„Wenn neue Möglichkeiten für PKW durch den Ausbau von Verkehrswegen geschaffen werden, werden diese auch genutzt“
Jessica Dietz: Was fordert ihr stattdessen?
Lena Mapler: Statt Ausbau der B27 und des Tunnels, den Ausbau von ÖPNV und Radwegen. Lärmschutzwände für die Anwohner*innen, mehr Überwege und ein Pförtnerampelsystem, dass die Verkehrsbelastung reduziert. All diese Forderungen können zeitnah umgesetzt werden, was einen großen Vorteil im Vergleich zu den gegenwärtigen Plänen darstellt, die frühstens in 20 Jahren greifen und eine hohe klimatische und finanzielle Belastung darstellen würden.
Jessica Dietz: Die Besetzung ist inzwischen beendet worden. Wie sehen eure weiteren Pläne aus?
Lena Mapler: Auch in Zukunft wird einmal im Monat ein Tunnel-Talk vor Ort stattfinden, um Leuten die Möglichkeit zu geben, sich zu informieren. Mit der Besetzung wollten wir zeigen, dass wir durchaus die Möglichkeit in Betracht ziehen, den Protest zu intensivieren, wenn weiter an den Ausbauplänen festgehalten wird. Wir werden weiterhin sichtbare Zeichen gegen den Ausbau setzen und protestieren, wo es erforderlich ist.
Inzwischen hat die Veranstaltung, auf die die Klimaaktivist*innen aufmerksam machen wollten, stattgefunden. Über dreihundert Menschen haben die Veranstaltung besucht, während vor dem Veranstaltungsort eine Mahnwache stattfand. Lena Mapler war vor Ort und hat den Inhalt aus Sicht der Klimaaktivist*innen zusammengefasst:
„Die Welt wird in 15 Jahren eine andere sein – ob wir unser System verändern oder sich die Klimakrise auf unser System auswirkt. Das können wir jetzt entscheiden und der Regierungspräsident scheint dazu eine klare Haltung zu haben“.
„Wir haben bereits im Interview über induzierten Verkehr gesprochen. Dieser wurde, auf Nachfrage, nicht mit einberechnet, vor allem nicht die daraus resultierende Treibhausgasbilanz. Für uns stellen sich viele Fragen aus einem ökologischen Standpunkt heraus, denen wir nachgehen werden. Auch die geplanten Kosten werden sich drastisch erhöhen. Ist zu Beginn noch von 340 Millionen Euro ausgegangen worden, werden diese veranschlagten Kosten nun voraussichtlich um 40% überschritten. Damit würde sich der geplante Ausbau auf knapp eine halbe Milliarde Euro belaufen. Auch die Bürger*innenbeteiligung, die vom Gemeinderat gefordert wurde, wurde nicht erfüllt. Es gab, aus unserer Perspektive, lediglich freundlich wirkende Scheinangebote, ohne echte Partizipation. Der Regierungspräsident hat klar verlauten lassen, dass er nicht glaubt, dass die Welt eine andere sein wird, wenn der Tunnel fertig gestellt ist und beruft sich auf bestehende Verkehrsprognosen. Das Problem ist, für uns, der Bias, dem er unterliegt, wenn er diese Annahme tätigt. Er spricht aus einer spezifischen Perspektive heraus und aus dieser entstehen auch gegenwärtige Verkehrsprognosen, in der man sich nichts anderes vorstellen kann, weil die Dinge schon immer so waren. Wenn die Planenden sich keine Veränderung vorstellen können, wird auch nicht über bestehende Ideen und Vorstellungen hinaus gedacht. Die Welt wird in 15 Jahren eine andere sein – ob wir unser System verändern oder sich die Klimakrise auf unser System auswirkt. Das können wir jetzt entscheiden und der Regierungspräsident scheint dazu eine klare Haltung zu haben“.