Und wenn man es dann tatsächlich durch das Mikroskop sieht, ist es einfach Wahnsinn!

Von Amelie Rebmann & Rebecca Zeller

 

Lichtdurchflutete Laborräume, zarte, sich emporstreckende Pflanzen in regelmäßiger Reihe und ein prüfender, aufmerksamer Blick: Dieser gehört Detlef Weigel, dem Entwicklungsbiologen. An diesem sonnigen Septembernachmittag leuchten sein weißer Kittel, die elfenbeinfarbene Haube und die dazu passenden Überschuhe noch mehr, als sie es wahrscheinlich für gewöhnlich tun. Nicht nur er ist hier in seinem Element: auch ein Periodensystem hängt an der Wand. 

Hier am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen gründete der 57-jährige Deutsch-Amerikaner Detlef Weigel die Abteilung für Molekularbiologie und ist seit 2001 auch als Direktor und Wissenschaftliches Mitglied tätig.

 

Frühe Vogelerkundung ebnet Weg für Laufbahn im hügeligen Tübingen

Die Liebe zur Natur hat Detlef Weigel schon früh durch gemeinsame Vogelbeobachtungen mit seinem Vater entdeckt. So stand für ihn bereits in einem Aufsatz der dritten Klasse fest, dass er später Wissenschaftler werden würde. Nach dem Abitur begann Weigel also Biologie und Chemie in Bielefeld und Köln zu studieren, um auch beruflich mehr „draußen in der Natur zu sein”. Anschließend promovierte er in Tübingen und forschte als Postdoktorand und Assistant and Associate Professor in Kalifornien weiter, bevor er nach Tübingen zurückkehrte, um am Max-Planck-Institut zu forschen. „Die Kollegen am Institut sind tolle Wissenschaftler, und ich halte sehr große Stücke von ihnen“, lobt Weigel die Zusammenarbeit.

Das Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Foto: Evangelos Papadopoulos

Hatte sich der Entwicklungsbiologe zu Beginn seiner Laufbahn unter anderem mit der Bildung von Nervenzellen der Taufliege (‚Drosophila’) und gemeinsam mit Kollege Herbert Jäckle mit der bahnbrechenden Entdeckung der sogenannten Forkhead-Proteine beschäftigt, wandte sich der Forscher später der pflanzlichen Molekularbiologie zu. Der schönste Moment seiner bisherigen Laufbahn? Das war zu seiner Zeit als Doktorand, als er ein lange gesuchtes Gen eines Fliegenembryos entdeckt hat: „Und wenn man es dann tatsächlich durch das Mikroskop sieht, ist es einfach Wahnsinn!”, schwärmt er mit leuchtenden, faszinierten Augen.

Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen

• Wissenschaftler forschen aus verschiedenen Fachrichtungen der Biologie
• Dynamische, interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit
• Themenschwerpunkte: Grundlagenforschung zur Entwicklung und Evolution von Tieren und Pflanzen auf verschiedene Organisationsebenen
• Mehr Infos: https://www.eb.tuebingen.mpg.de/

Aktuelle Arbeit: Weigel nicht immun gegen Pflanzen-Liebe

Zurzeit beschäftigen sich sein Team und er mit dem Immunsystem von Pflanzen und – mittlerweile unabdingbar – auch den Folgen des Klimawandels auf deren Gedeihen. So haben sie beispielsweise herausgefunden, dass manche Pflanzen in Mitteleuropa viel mehr bedroht sind, als im Mittelmeerklima: „Am Mittelmeer ist es bereits heiß und trocken und die Vertreter der Art, die es dort gibt, die kommen schon gut damit zurecht. Aber die Mitglieder der Art, die es hier bei uns gibt, sind vollkommen unvorbereitet.“

Besonders stolz ist der Entwicklungsbiologe übrigens weniger auf seine eigenen Erfolge, sondern viel mehr auf die Forschungsfortschritte seiner Studierenden: „Ich habe in meinem Leben alles erreicht, was ich erreichen wollte, aber daran wird sich später kaum jemand erinnern. An was sich die Leute später erinnern ist, wer bei mir im Labor gearbeitet hat.” Auch aus diesem Grund möchte Detlef Weigel mit 68 Jahren in Rente gehen, um jüngeren Forschenden Platz zu machen.

Vom Blumen- geht es nach der Arbeit oft direkt zum Kochtopf, denn Weigel bereitet leidenschaftlich gerne Speisen zu, wie sich interessanterweise bei der Frage nach seiner Lieblingspflanze herausstellt.

Im Gespräch mit Detlef Weigel. (Foto: Evangelos Papadopoulos)

An dieser Stelle hätte man als Antwort wohl eher eine Mischung aus Zitterpappel und Acker-Schmalwand vermutet. Detlef Weigel jedoch nennt hier die Tomate: „Sie hat eine hochinteressante Genetik und ist in Wirklichkeit eine Frucht”. Am liebsten bereitet er aus ihr einen würzigen Tomatensalat zu, frisch geerntet in seinem Tübinger Garten. Doch nicht nur diesen schätzt er an der Universitätsstadt und seiner Wahlheimat: Am Wochenende geht er oft stundenlang über die Ländereien wandern, wobei ihm an der Natur am meisten gefällt, „dass sie sich immer wieder verändert und man jedes Mal etwas Neues sieht.“ Der Entwicklungsbiologe mag neben der Natur auch die Intellektualität der Universitätsstadt, weniger vermissen würde er das Hügelige an Tübingen, denn er ist in Norddeutschland (Dannenberg an der Elbe) geboren und aufgewachsen. Auch bei der Frage, welcher Gegenstand er am ehesten wäre, antwortet Weigel mit einem Begriff aus der Natur: „Dann wäre ich ein mittelgroßer Stein, der nicht so leicht wegrollt, aber auch nicht so stark gebunden ist.” In der belebten Natur rund um Tübingen findet er oft Inspiration für seine Forschung und so fasziniert ihn auch sein Beruf immer wieder aufs Neue.

Wissenschaft gleicht einem riesigen Puzzle, an dem alle forschen

Der Entwicklungsbiologe findet große Freude daran, bisher unbekannte Gebiete zu erforschen und ist „kein Wissenschaftler, der sich lediglich auf ein Thema fokussiert und die Karriere auf diese eine Sache ausrichtet.“ Er nimmt die Wissenschaft vielmehr wahr als ein „riesiges Puzzle, an dem alle gemeinsam forschen“ und sieht Forschende dabei in der Pflicht, ihre Forschung zu kommunizieren. Für Weigel steht es außer Frage, dass die Wissenschaft der Gesellschaft von großem Nutzen ist: „Für mich ist es Teil der menschlichen Konstitution und Kondition, die Welt verstehen zu wollen und diese durch die Wissenschaft zu erforschen. Wir wollen uns Menschen verstehen und können dies nur, wenn wir die Welt und unseren Platz in der Welt verstehen.“ Dies ist seine Auffassung von Wissenschaft, die Forschende jedoch nicht von der Pflicht entbindet, zu kommunizieren: „Es ist in meinen Augen sogar besonders wichtig zu kommunizieren, was man erforscht“, so Weigel. Deshalb ist Kommunikation das Schlüsselelement für den Biologen und so gibt er in der analogen Welt Vorträge in Fachkreisen, an Schulen, in Museen oder der Politik und kann auf zahlreiche Veröffentlichungen seiner jahrzehntelangen Forschungen zurückblicken.

Welchen Moment in der Geschichte der Wissenschaft er gerne miterlebt hätte? „Als bei Darwin der Groschen gefallen ist“, antwortet er ohne langes Überlegen, „weil die Idee der Natürlichen Selektion im Nachhinein völlig offensichtlich erscheint.“ Offensichtlich ist auch, welche Aspekte in der Kommunikation für Weigel wichtig sind: gutes und klares Schreiben. Hierbei gilt, dass es nichts gibt, „was man nicht in normalen Worten ausdrücken kann“, sodass es für alle Zielgruppen gleichermaßen klar und verständlich ist.

Twitter als persönlicher Favorit unter den Kommunikationsmitteln

Weigels Lieblingskanal für Wissenschaftskommunikation:
Twitter (@PlantEvolution)

Weigel hat dabei ein klares Lieblingsnetzwerk: Twitter. Die Plattform ermöglicht es Weigel durch ihre Dynamik noch besser als beispielsweise Facebook, sowohl mit Bürgern und Journalisten, als auch mit Forschenden ins Gespräch zu kommen. „Auf Twitter geht es nicht nur um Wissenschaft, sondern auch noch um die Themen drumherum“, so der Kommunikationsexperte.  Außerdem seien Menschen in diesem Netzwerk am ehesten dazu bereit, kritisch zu sein und ihre konträre Meinung zu äußern. Doch es gibt bei der Wissenschaftskommunikation auch Potential zur Verbesserung: Wissenschaftler sollten nicht nur beispielsweise bei Veröffentlichungen auf eine klare Formulierung achten, sondern sich auch untereinander mehr bemühen, sich einfach und deutlich auszudrücken und Inhalte nicht hinter langen Satzkonstruktionen zu verstecken. Weigel macht sich auch Gedanken über den Einbezug weiterer Medien: „Meine Tochter meint schon lange, ich sollte Instagram mehr nutzen für meine Wissenschaftskommunikation“, berichtet er schmunzelnd, „und ich würde mich gerne auch mehr mit Video-Formaten wie Vlogs beschäftigen, habe aber bisher noch nicht ausreichend Zeit dafür gefunden.“

Nach einem langen Arbeitstag, der gespickt ist mit Mitose, Manuskripten und Mikroskoplinsen knipst Weigel das Licht im Labor aus. Worauf er sich freut? „Den Tomatensalat.“ Die Geheimzutat? „Ahornsirup”, sagt er zwinkernd und hängt seinen Laborkittel auf.

Weiterführende Informationen zu Detlef Weigel

• Homepage: https://weigelworld.org
• Twitter-Account @PlantEvolution:
• Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen