Rechtsextremismus im Gaming
Teil 2: Wegschauen ist keine Lösung.
Das Interview wurde von Nick Schindowski im Rahmen seines Projektstudiums geführt.
Gaming erfreut sich großer Beliebtheit wie nie zuvor. Der Trend lockt jedoch auch rechtsextreme Akteure an, die versuchen, ihre Ideologie gesellschaftsfähig zu machen. Das Projekt „Good Gaming – Well Played Democracy“ der Amadeu-Antonio-Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Versuche zu beobachten und in der Praxis dagegen zu wirken. MediaBubble hat mit dessen Projektleiter Mick Prinz über die Strategien der Rechtsextremen und Handlungsoptionen für demokratische Akteur*innen gesprochen.
Dieser zweite Teil des Interviews lotet aus, wie man Rechtsextremismus und Diskriminierung in der Videospielkultur begegnen kann. Im ersten Teil werden vor allem die Strategien der Rechtsextremen thematisiert. Hier der Fasttrack zum ersten Teil des Interviews.
MediaBubble: Herr Prinz, wir haben im letzten Teil des Interviews viel darüber gesprochen, wie Rechtsextreme Akteur*innen versuchen, ihre Ideologie in der Videospielkultur zu verbreiten. Mich interessiert an dieser Stelle: Handelt es sich hierbei um ein computerspielspezifisches Phänomen?
Mick Prinz: Ich würde sagen, nicht unbedingt. Aber gerade im Gamingbereich können sich toxische Meinungen schneller verbreiten als an anderen Stellen im Internet. Das kommt auf den bestimmten Ort im Gamingbereich an, aber in meiner Wahrnehmung werden Videospiele von vielen Spieler*innen immer noch als ein Ort wahrgenommen werden, der nichts mit Politik zu tun hat. Aber sobald sich hier politische Meinung artikulieren, zum Beispiel wenn Spiele wie The Last of Us 2, in dem wir eine queere Protagonistin spielen, eine diverse Haltung transportieren, sehen wir, dass eine toxische Haltung sehr dominant ist. Im Gaming herrscht immer noch so eine Gatekeeping-Mentalität vor, dass Videospiele bloß nichts mit Politik zu tun haben sollen.
Diese Phänomene sind also nicht videospielspezifisch, zeichnen sich hier aber schneller ab. Genauso sind Gaming-Plattformen, die wenig moderieren, natürlich Orte, an denen sich rechtsextreme und toxische Akteur*innen leichter wohlfühlen als in anderen Bereichen des Internets. Hier fällt die Gegenrede weniger stark aus, die Gegenwehr der Plattform ist kaum vorhanden und es herrscht grundtoxisches Klima vor. Dieses grundtoxische Klima gibt es auch an anderen Stellen im Internet. Im Gaming-Bereich ist es aber leichter einsehbar.
MediaBubble: Jetzt könnte man sagen, rechtsextreme Akteur*innen sind gegen Gegenrede gefeit und auch mit Argumenten kommt man hier nicht weit. Weshalb kann Gegenrede und Positionierung doch eine wirksame Strategie gegen problematische Inhalte sein?
Mick Prinz: Die Idee der Gegenrede ist ja nicht unbedingt, dass man sein Gegenüber überzeugt. Wenn ich inhaltlich Gegenrede leiste, zum Beispiel wenn wir beide über die AfD streiten, kann ich auch die Leute überzeugen, die unserer Debatte gerade folgen. Gegenrede ist im Internet extrem wichtig, weil Antworten auf einen möglichst großen Zuschauer*innenraum stoßen können. Es geht also gar nicht darum, dass ich dich überzeuge, sondern die Leute, die dieser Debatte gerade folgen – die schweigende Mehrheit. Gegenrede ist im Gaming ein wichtiges Tool, nicht nur, um eine Haltung zu transportieren und Menschen zu schützen, sondern auch um Menschen zu erreichen, die noch unentschlossen sind.
Man sollte aber auch sondieren, ob man sich selbst in Gefahr begibt. Ich rate in jedem Fall davon ab, in einer rechtsextremen Steam-Gruppe Gegenrede zu betreiben. Wenn man dies allerdings in einer großen Gruppe macht, nehmen wir zum Beispiel die Debatte um J. K. Rowlings Transfeindlichkeit im Zuge der Veröffentlichung von Hogwarts Legacy, lassen sich viele unschlüssige Menschen erreichen.
MediaBubble: Wir haben vorhin über die Meldefunktionen von Gaming-Plattformen gesprochen und gesehen, dass diese an vielen Stellen ausbaufähig ist. Lohnt es sich überhaupt auf diese zurückzugreifen?
Mick Prinz: Definitiv. In meinen Augen funktioniert das Melde-System, wir müssten es nur stärker nutzen. Viele Spieler*innen schauen immer noch weg, wenn sie solche Dinge sehen. Für sie ist das nur eine Momentaufnahme, bevor sie das nächste Spiel oder die nächste Seite öffnen. Es muss jedoch ein viel stärkeres Verständnis dafür geben, dass solche Aussagen auch im Gaming-Bereich nicht klargehen. Ich würde mir sehr wünschen, dass mehr Spieler*innen Gegenrede leisten und vor allem diese Dinge melden. So gesehen ist das Melden auch die niedrigste Hürde, die man schnell überwinden kann. Auch wenn nicht alle Seiten diesen Meldungen akribisch nachgehen, passiert oft was, wenn mehrere Personen melden. Umso mehr Menschen melden, umso mehr Sensibilität mag von den Plattformen kommen.
Außerdem kann man nicht nur zu den Plattformen gehen, sondern solche Inhalte genauso auf den Seiten der Landesmedienanstalten melden, die zusätzlichen Druck auf die Plattformen ausüben können. Mein klarer Appell lautet also: Wenn ihr die Zeit habt, nutzt die Melde-Funktion der Landesmedienanstalten eures Bundeslandes. Das bedarf meist nur weniger Klicks und einem kurzen Einfügen des Links, um beispielsweise eine Modifikation auf Steam zu melden, die die Waffen-SS abbildet.
MediaBubble: Die Meldung ist also ein wichtiges Tool. Was können Menschen darüber hinaus tun, wenn sie nicht davon betroffen sind, sich aber solidarisieren möchten?
Mick Prinz: Nicht wegschauen. Die Aufmerksamkeit auf das Thema lenken und es nicht ignorieren. Ich denke, das ist das wichtigste Tool, was Menschen haben, die nicht von Diskriminierung betroffen sind. Es gibt Statistiken der Anti-Defamation-League: 77 Prozent aller Spielenden haben schon Hass im Gaming erlebt. Die meisten Spielenden schauen weg, wenn sie so etwas sehen oder vielleicht selbst angefeindet werden. Es macht aber Sinn, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, sich vor, neben oder hinter Betroffene zu stellen.
Wenn ich in Online-Games diskriminierende Aussagen sehe, versuche ich immer mit einem sachlichen Kommentar darauf hinzuweisen, dass ich das nicht in Ordnung finde. Wenn das nicht klappt, mute ich die Person (im Chat stumm schalten, Anm. d. Red.) und melde sie nach dem Spielen. In einigen Fällen ist es sogar passiert, dass ich auf diese Weise etwas erreichen konnte. In Online-Games ist mir das bisher jedoch so gut wie nie passiert. Trotzdem ist wichtig, Solidarität mit Betroffenen zu äußern und auf diese Themen hinzuweisen.
MediaBubble: Wo können sich Betroffene Unterstützung suchen, falls sie dies wünschen?
Mick Prinz: Auf jeden Fall kann man sich an uns wenden, also die Amadeu-Antonio-Stiftung und auch erst mal einfach über die Fälle sprechen. Wir haben bei uns Sozialarbeiter*innen im Team, die immer mit einem offenen Ohr da sind. Wenn eine Beratung gewünscht ist, können wir das auf jeden Fall übernehmen. Daneben gibt es die HateAid, eine Beratungsstelle in Deutschland, die auch Menschen im Gaming-Kontext berät, seien es jetzt Influencer*innen oder Spieler*innen.
Ich möchte hier auch unterstreichen, dass es ebenfalls ein wichtiges Tool ist, proaktiv mit dem Thema Games zu arbeiten. Ist man selbst Pädagog*in oder Lehrkraft und möchte mehr Videospiele in die eigene pädagogische Haltung einbauen, gibt es auf der Seite der digitalen Spielkultur eine riesige Datenbank mit Games, die einen pädagogischen Mehrwert aufweisen.
MediaBubble: Nehmen wir an, Eltern oder Angehörige junger Computerspieler*innen lesen dieses Interview und merken, dass ihr Schützling auf Steam oder Discord unterwegs ist, oder sogar mit problematischen Inhalten konfrontiert ist. Zu welcher Haltung raten Sie dann?
Mick Prinz: Sich nicht vor dem Thema zu verschließen, ist ein Punkt, den ich in Workshops immer stark mache. Nehmen wir an, ich bin Elternteil und mein Kind erzählt mir, dass es jetzt auf Roblox oder Steam aktiv ist. In dem Fall sollte ich nicht die Alarmglocken läuten lassen, sondern erstmal Interesse dafür zeigen und mir selbst das Medium näher anschauen, auch wenn man vielleicht keine Ahnung hat. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel das Kind zu fragen, ob man sich das mal zusammen anschauen soll. Nur weil jemand auf Steam aktiv ist, heißt das eben noch nicht, dass diese Person automatisch in der Wehrmachts-Fangruppe XY unterwegs ist. Es ist mir ganz wichtig, dass Leute unvoreingenommen an dieses Medium herangehen.
Wenn jedoch auffällt, dass das Kind in einer Steam-Gruppe ist, die komisch klingt, macht es ganz viel Sinn, das offen anzusprechen und darzulegen, was daran problematisch ist. Es ist wichtig, den Austausch zu suchen und klarzumachen, welche Werte man möglicherweise damit transportiert, wenn man Teil einer solchen Gruppe ist. Dafür muss in einem ersten Schritt aber eine Vertrauensbasis da sein. Ich glaube, es wäre falsch, den eigenen Kids diese Plattformen zu verbieten.
Merkt man jedoch, man stößt nur auf taube Ohren und kommt nicht voran, gibt es auch hier wieder Beratungsstellen, an die man sich wenden kann. Hier möchte ich wieder auf HateAid und die Amadeu-Antonio-Stiftung verweisen.
MediaBubble: Herr Prinz, vielen Dank für das Gespräch. Gibt es zum Abschluss noch etwas Wichtiges, dass bisher nicht zur Sprache gekommen ist?
Mick Prinz: Mein Abschlussappell würde lauten: Wir sollten Games nicht stigmatisieren oder verteufeln, weil ich hier die negativen Aspekte hervorgehoben habe. Die sollten wir beachten, aber die positiven Aspekte nicht außer Acht lassen und die Chancen, die uns Games liefern, trotzdem nutzen. So können wir zudem mit Jugendlichen ins Gespräch kommen – über Games und vor allem mit Games.
Links:
- Beschwerdeformular der Landesanstalt für Kommunikation in Baden-Württemberg (LfK):
https://www.lfk.de/service/kontakt/beschwerdeformular-internet - Datenbank “Digitale Spiele mit pädagogischem Potential” der Stiftung Digitale Spielkultur:
https://www.stiftung-digitale-spielekultur.de/paedagogische-spiele/ - Betroffenenberatung der gemeinnützigen Organisation “HateAid”:
https://hateaid.org/betroffenenberatung/ - “Leuchtlinie” – eine Betroffenenberatungsstelle in Stuttgart:
https://www.leuchtlinie.de/ - Eine Sammlung von Betroffenenberatungsstellen der Amadeu Antonio Stiftung:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/opferfonds-cura/opferberatungsstellen/