Krieg, Armut, Hungersnot?

Wie die Afrika-Berichterstattung deutscher Medien postkoloniale Muster reproduziert (Teil 2)

Von Wiebke Grannemann

Statistiken belegen, dass die derzeitige Afrika-Berichterstattung deutscher Medien als mangelhaft einzustufen ist, da sie vermehrt auf negativen Framings und Stereotypen beruht – das Bild von Afrika als „armer Kontinent“, vermeintlich geprägt von Krieg und Krise, kennt wohl jeder von uns. Doch woher stammt ein solches Narrativ eigentlich, warum ist es so problematisch, und wie lässt es sich vermeiden? Was muss geschehen, um die Afrika-Berichterstattung zu verbessern? Darum soll es hier, im 2. Teil des Artikels, gehen.

Dabei spielt vor allem eine Rolle, dass die Reproduktion eines solchen Afrikabildes gewissermaßen dazu beiträgt, postkoloniale Strukturen zu stützen.

„Es ist gerechtfertigt zu sagen, dass von den Medienunternehnen Bilder, die durch Kolonialismus entstanden sind, sprich Bilder von Afrika als dem „armen Kontinent“, oder Bilder des White Saviours, reproduziert werden“, so auch Pflüger.

Postkolonialismus

Postkolonialismus beschreibt eine kritische Denkrichtung, in der der fortgesetzte Einfluss kolonialer Strukturen auf eine formal dekolonisierte Gegenwart im Fokus steht, um zu verdeutlichen, dass die kolonialen Machtverhältnisse nicht überwunden sind, sondern noch immer starke Diskrepanzen in globalen Machtstrukturen bestehen, die aus der Kolonialzeit fortbestehen.

White Saviourism

White Saviourism beschreibt ein Phänomen, bei dem sich weiße Menschen aus dem Globalen Norden dazu berufen fühlen, Menschen aus Ländern des Globalen Südens durch Entwicklungsprojekte zu helfen und ihnen und „etwas Gutes zu tun“. Problematisch an diesem Phänomen ist, dass sich dahinter oft die internalisierte Vorstellung einer weißen Überlegenheit verbirgt, nach welcher Länder des Globalen Nordens „fortschrittlich“ und „weiterentwickelt“ seien. Damit läge es in der Verantwortung weißer Menschen, Menschen des Globalen Südens vermeintlich fortschrittliche Denkmuster und Strukturen beizubringen, was aber bedeutet, dass Schwarzen Menschen und People of Colour die eigene Handlungsfähigkeit und Expertise über die eigene Lebenssituation, eigene Bedürfnisse usw. abgesprochen wird. Damit geht White Saviourism mit einem von Rassismus und Kolonialismus geprägten Weltbild einher, das die weiße soziale und weltpolitische Vormachtstellung stützt.

An dieser Stelle ist es Pflüger wichtig zu betonen, dass die beschriebene Reproduktion der aus der Kolonialzeit stammenden Denkmuster und Strukturen in der Regel gar nicht vorsätzlich oder bewusst geschehe: „Ich würde jetzt auch keine böse Beabsichtigung unterstellen, dass die Medien absichtlich postkoloniale Strukturen füttern, sondern ich würde sagen, dass oft einfach ahnungslos oder unwissend gehandelt wird.“

Aber woher stammt diese „Ahnungslosigkeit“, wie Pflüger sie nennt, die zu einer solch mangelhaften Berichterstattung führt?

Zwischen Desinteresse und Schlagzeilen um jeden Preis

Ein zentraler Aspekt hierbei ist, dass Medienhäuser immer wieder mit der Frage konfrontiert sind, was sich verkaufen lässt. „Der Verkaufsaspekt des Schlagzeilen-verkaufen-Wollens steht oftmals zu sehr im Vordergrund“, sagt dazu Pflüger. Die Schwierigkeit bestehe darin, dass in der Gesellschaft allgemein kein allzu großes Interesse an Themen zu und über Afrika vorhanden sei.

Laut Pflüger von der Deutschen Afrika Stiftung stünden die Verkaufszahlen zu oft im Fokus der Medienhäuser. (Quelle: Unsplash)

Dies kann jedoch sowohl als eine Folge des weit verbreiteten negativen Afrika-Bilds sein, als auch die Ursache davon: Wenn ein sehr selektives, undifferenziertes Bild von Afrika in den Köpfen der breiten Mehrheit verankert ist, regt das nicht dazu an, sich mit Afrika auseinandersetzen zu wollen. Ein solches Desinteresse aber befördert wiederum eine mangelhafte Afrika-Berichterstattung, da eben nur dann Schlagzeilen gemacht werden, wenn es Negativ-Schlagzeilen gibt, d.h. wenn es zu Katastrophen, Krisen und so weiter kommt – was dann wieder einer Reproduktion des vorherrschenden Afrika-Stereotyps gleichkommt. Es handelt sich also um eine Art Teufelskreis, in dem auch die Mehrheit der deutschen Medien feststeckt.

Um aus diesem Teufelskreis herauskommen zu können, bedarf es einen weitreichenden Perspektivwechsels und einer Fokus-Verschiebung.

Afrika sollte uns alle etwas angehen

Pflüger plädiert dafür, in der medialen Berichterstattung stärker den persönlichen Bezug für RezipientInnen hervorzuheben: „Wichtig in der Berichterstattung wäre, verstärkt die Verbindungen zwischen Europa und Afrika einzubringen. Warum sollte es uns „deutsche NormalbürgerInnen“ interessieren, was auf unserem Nachbarkontinent passiert? Warum geht es uns was an? Warum wäre es wichtig, dass es uns interessiert, was auf dem afrikanischen Kontinent passiert und wie hängt das unmittelbar damit zusammen, was in Europa bzw. Deutschland passiert? Wenn man das in der Berichterstattung besser hervorheben würde, würde auch das Interesse der Öffentlichkeit an Nachrichten aus und über Afrika verstärken.“

Zu dem notwendigen Perspektivwechsel gehört auch, weniger aus einer eurozentrischen Sicht auf Afrika zu schauen, sondern vermehrt lokale Perspektiven, Ansätze und Bewertungen einzubringen.

Die Medienforschende der oben vorgestellten Global-Index-Studie der UCT fordern etwa vor allem, die Vielfalt der Stimmen aus Afrika zu fördern, die Anzahl der Beiträge über Afrika sowie aus Afrika zu erhöhen und den Fokus weg von geopolitischen Perspektiven hin zu authentischen afrikanischen Erfahrungen sowie den derzeit in Afrika stattfindenden Entwicklungen und Wandeln zu verschieben.

Demnach ist also entscheidend, in der Berichterstattung inhaltlich differenzierter und umfangreicher zu werden. Es geht dabei nicht darum, nichts Negatives mehr aus Afrika zu zeigen oder bestehende Krisen herunterzuspielen, sondern darum, diese korrekt einzustufen und nicht als allein existierendes Narrativ bestehen zu lassen. Afrika ist mehr als nur seine Krisen, daher muss auch mehr medial abgedeckt werden. Es müssen zusätzlich Erfolgsgeschichten, Alltagsgeschichten und lokalpolitische sowie lokalwirtschaftliche Themen erscheinen, um Stereotypen zu durchbrechen.

Mangel an Korrespondenten und fehlende lokale Zusammenarbeit ein Teil des Problems

Um diese inhaltlichen Perspektivwechsel zu erreichen, bedarf es allerdings auch entsprechender struktureller Veränderungen in der deutschen Medienbranche.

So haben nur wenige deutsche Medien eigene Auslandskorrespondenten in Afrika: Laut einer Studie des Leipziger Medienwissenschafters Lutz Mükke von 2009 sind deutsche Afrika-Korrespondenten im Schnitt für 33 Länder zuständig, da es einen so großen Mangel an Korrespondenten gibt – die Tendenz bezüglich der Anzahl der fest angestellten Afrika-Korrespondenten ist hierbei noch sinkend.

Dass die Afrika-Berichterstattung der deutschen Medien also so selektiv ist, scheint weniger überraschend, wenn man sich diese Zahlen vor Augen führt.

Dabei braucht es nicht unbedingt viel mehr Auslandskorrespondenten, so Pflüger. Sie argumentiert, dass es vor allem darum gehen müsse, den Menschen in Afrika selbst eine Stimme zu geben: „Es sollte eine stärkere Zusammenarbeit mit lokalen Medienschaffenden geben, die vor Ort sind. Dadurch könnte man eben auch stärker die lokalen Perspektiven einbeziehen: Wie ordnen Menschen vor Ort politische Ereignisse ein, z.B. Protestbewegungen, Wahlen, etc.? Von Deutschland aus haben wir dazu oft eine ganz andere Einschätzung.“

Die Anzahl lokaler Korrespondenten ist derzeit sehr gering. (Quelle: Unsplash)

Lösungsansätze seien stärkere und größere Netzwerke, bessere internationale Zusammenarbeit sowie Austauschprogramme für junge JournalistInnen, um Horizonte zu erweitern, Stereotypen entgegenzuwirken und gegenseitiges Verständnis füreinander aufzubauen. Auch hier verweist Pflüger darauf, dass viele anglo- und frankophone Medien an genau diesen Stellen schon wesentlich mehr leisten und besser vernetzt seien als die meisten deutschen Medien.

Es braucht ein Umdenken auf Führungsebene

In der Verantwortung, entsprechende Veränderungen umzusetzen und langfristig auf eine bessere Afrika-Berichterstattung der deutschen Medien hinzuarbeiten, sieht sie in erster Linie die Führungsebenen der Medienhäuser: „Wir von der Deutschen Afrika Stiftung haben das Gefühl, in der Politik versteht man langsam, dass wir Afrika als Partner brauchen. Jetzt muss es ein Umdenken auf den obersten Ebenen der Medienhäuser geben, sodass es auch eine Veränderung darin gibt, wie man mit und über Afrika berichtet.“

Festhalten kann man also, dass es längst überfällig ist, die Inhalte und strukturellen Grundlagen der deutschen Afrika-Berichterstattung zu überarbeiten. Es gilt, Stereotypen zu brechen und eine Korrespondenz auf Augenhöhe mit einer engeren Zusammenarbeit mit afrikanischen Medienschaffenden zu erreichen, um endgültig postkoloniale Strukturen und die negativen Konsequenzen der bisher vor allem selektiven, undifferenzierten sowie realitätsverzerrenden Art der medialen Darstellung Afrikas zurückzulassen. Entscheidend ist hierbei, vermehrt lokale Perspektiven und Stimmen in den Blick zu nehmen und Ereignisse differenzierter in ihren Kontext einzuordnen. Während es bereits vereinzelt Initiativen und Verbesserungsansätze gibt, muss es nun darum gehen, diese auszuweiten und großflächiger zu gestalten – vor allem auf den Führungsebenen der deutschen Medienhäuser.

Quellen:
  • ASt, Postkolonialismus (Lexikon): Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2001: https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/postkolonialismus/6170 (zuletzt geöffnet: 22.07.24, 10:10)
  • Fuma, White Saviorism (Lexikon): Fachstelle Gender und Diversität NRW, 2023: https://www.gender-nrw.de/white-saviorism/ (zuletzt geöffnet: 22.07.24, 10:06)
  • Koyana, C: UCT launches Global Media Index for Africa, University of Cape Town News, 2024: https://www.news.uct.ac.za/article/-2024-06-05-uct-launches-global-media-index-for-africa (zuletzt geöffnet: 24.07.24, 17:00)
  • Linß, V: Afrika in deutschen Medien, Deutschlandfunk Kultur, 2009: https://www.deutschlandfunkkultur.de/afrika-in-deutschen-medien-100.html (zuletzt geöffnet: 24.07.24, 17:07)
  • Mükke, L: Journalisten der Finsternis: Akteure, Strukturen und Potenziale deutscher Afrika-Berichterstattung, Herbert von Halem, 2009