Greenwashing und die Action-Value-Gap

Ein Interview mit Kathrin Reichmann

 

Im vierten und letzten Teil dieser Greenwashing-Serie geht es um die Action-Value-Gap. Sinngemäß übersetzt würde man von der Handlungs-Werte-Lücke sprechen. Die Action-Value-Gap ist ein Phänomen, bei dem sich Menschen ihrer Werte zwar bewusst sind, ihre Entscheidungen aber nicht mit diesen übereinstimmen.

Gerade beim Thema Nachhaltigkeit tritt dieser Begriff immer wieder auf. Viele Menschen haben, wie in den vorhergehenden Artikeln beschrieben, ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Umweltschutz entwickelt. Doch oft passen die Entscheidungen, die sie beim Einkaufen treffen, nicht zu diesen Werten.

Kathrin Reichmann hat ihren Bachelor und Master in Psychologiebereits an der Uni Tübingen gemacht. Foto: privat

Über die Action-Value-Gap, ihre Ursprünge, Folgen und was man gegen die eigene Lücke tun kann, habe ich mit Kathrin Reichmann gesprochen. Sie ist Doktorandin der Psychologie an der Eberhard-Karls-Universität und Teil der Arbeitsgruppe Soziale Kognition und Entscheidungsforschung. Dabei beschäftigt sie sich unter anderem damit, wie externe Einflüsse unsere Entscheidungen beeinflussen. Sie erforscht mit ihren Kolleg:innen auch, wie sich unsere Werte entwickeln und wie wir sie in unserem Alltag abrufen.

„Das relevanteste Argument beeinflusst unsere Entscheidung am meisten.“

Auf den ersten Blick mag das Phänomen der Action-Value-Gap vielleicht nicht einleuchten. Wenn man sich seiner Werte und seiner Einstellung bewusst ist, dann kann man ja einfach dahingehend Entscheidungen treffen, die sich dann auch mit der persönlichen Einstellung decken. Kathrin Reichmann erklärt, dass Werte oft allgemeiner und abstrakter sind als bestimmte Verhaltensweisen. Angestrebt wird, zwischen den Werten und dem Verhalten eine Übereinstimmung zu finden. „Oftmals ist man sich nicht im Klaren darüber, was es eigentlich für das eigene Verhalten bedeutet, einen bestimmten Wert oder eine bestimmte Einstellung zu haben“, sagt sie. In Situationen, in denen wir Entscheidungen treffen müssen, haben wir meist eine Wahl. Und das nicht nur zwischen Option A und Option B sondern oft, nehmen wir das Beispiel Supermarkt, zwischen einer Vielzahl von Möglichkeiten.

„Im Kopf werden viele verschiedene Argumente gleichzeitig betrachtet“, sagt Reichmann. Das könne der Preis oder die Verpackung sein. Wenn wir kein Produkt finden, das alle Faktoren vereint, kommt es zu einem unangenehmen, einem aversiven, Entscheidungszustand. „Da spricht man von kognitiver Dissonanz. Dieser aversive Zustand führt dazu, dass wir uns am Ende zwar für ein Produkt entscheiden, wir mit dieser Entscheidung aber nicht zufrieden sind“, erklärt die Expertin. Hier treffen Werte und Verhalten aufeinander. Vielleicht hat man ein Produkt gekauft, das man lange kennt oder schon oft gekauft hat. Man weiß aber auch, dass es nicht den eigenen Vorstellungen von Nachhaltigkeit entspricht. Es ist wahrscheinlich, dass aber nicht nur zwei oder drei Alternativen, sondern wahrscheinlich fünf oder sechs im Regal aufgereiht sind. Der aversive Zustand setzt ein und wir entscheiden uns mit einem flauen Gefühl im Bauch für die Marke, die wir beispielsweise als Kind bereits kannten. „Hier könnte man sagen, das wichtigste Argument, also das Argument, das in der Situation am relevantesten erscheint, beeinflusst dann die Entscheidung auch am meisten“, führt Reichmann aus.

„Wie sieht Verhalten aus, das meinen Werten entspricht?“

Bei diesen Entscheidungssituationen kommen auch die Greenwashing-Taktiken der Hersteller und das Design der Verpackung ins Spiel. Gerade Labels und auch die verschiedenen Siegel, die abgedruckt werden, tun hier ihre Arbeit. Sie suggerieren uns in diesen Fällen, dass unsere Werte erfüllt werden. Wir brauchen uns nicht schlecht zu fühlen. „Aus dieser Hinsicht könnte man schon sagen, dass die Unternehmen diese Werte ansprechen und auch Zweifel ansprechen, uns dann aber genau da abholen“, sagt die Doktorandin. Wenn die Claims der Wahrheit entsprechen, erleichtern sie uns unsere Entscheidungen und machen uns das Angebot transparenter, leider trifft das nicht immer zu. Das Greenwashing führt nicht nur zu Entscheidungen, die auf Falschinformationen beruhen. Es kann in manchen Fällen sogar das gegenteilige Verhalten aufrufen, das man eigentlich beobachten will.

Nicht alles was in der Recyclingtonne landet, wird automatisch auch recycelt. Deswegen sollte die Priorität darauf liegen, so wenig Müll wie möglich zu produzieren. Bild: Unsplash/Sigmund

Kathrin Reichmann schildert dies an einem Beispiel, das mit einer Studie bereits experimentell nachgewiesen wurde (siehe Quellen). Zwei Testgruppen wurden im Rahmen des Experiments verschiedene Säfte zur Verkostung gegeben. An einem separaten Tisch wurden Plastikbecher zur Verfügung gestellt und die Testpersonen sollten sich die Säfte selbst einschenken. Bei der einen Gruppe stand ein nicht gekennzeichneter Mülleimer im Raum, bei der anderen ein Recyclingmülleimer. Die Gruppe, welcher der Recyclingmülleimer zur Verfügung stand, benutzte im Vergleich mehr Plastikbecher, um die Säfte zu verkosten als die andere Gruppe ohne Möglichkeit zum Recyceln. „Das zeigt ein bisschen, dass Labels und auch Greenwashing falsche Anreize setzen können“, fügt Reichmann hinzu. „Die eigentliche Handlung, die die Action-Value-Gap maximal verringern würde, wäre, grundsätzlich so wenig Müll wie möglich zu produzieren.“ Hier tritt der aversive Zustand nicht ein, da die Teilnehmenden die Becher mit gutem Gewissen benutzten. Aber nur weil Recycling auf der Mülltonne steht, ist das nicht zwangsläufig der Weg, den der Abfall auch nimmt (Mehr dazu im vorhergehenden Artikel der Serie: Greenwashing bei Verpackungen).

„Es ist wichtig, dass den Leuten Greenwashing bewusst wird und sie kritischer mit Labels umgehen.“

Der Austausch mit Familie und Freund:innen ist wichtig. Es gibt Perspektive und regt zum Nachdenken an. Bild: Unsplash/Priscilla du Preez

Entscheidend ist, eine Informationsgrundlage zu schaffen und sein eigenes Verhalten zu reflektieren. Reichmann erklärt: „Wie sieht Verhalten aus, das meinen Werten entspricht? Natürlich brauche ich ein bestimmtes Wissen. Wenn ich mich zum Beispiel gesundheitsfördernd verhalten will, muss ich wissen, welche Verhaltensweise meine Gesundheit fördert. Das klingt trivial, ist aber tatsächlich gar nicht so einfach.“ Entscheidend sei, den Reflektionsprozess anzustoßen. Das könne man selbst schaffen, oft werde man auch von seiner Umwelt beeinflusst. Wie verhalten sich andere, deren Werten meinen ähneln und stimmt mein Verhalten mit diesen Personen überein? Das können Freund:innen, Familienmitglieder oder auch einfach neue Informationsquellen wie z.B. ein Podcast oder eine Serie sein. Problematisch wird es dann, wenn man diese Informationen nicht hat oder gar falsch informiert ist. Hier kann Greenwashing einen entscheidenden Einfluss auf uns und in Folge auf die Umwelt, das Klima und unsere Mitmenschen haben.

Auch Reichmann sagt: „Greenwashing kann dazu führen, dass der Reflektionsprozess nicht stattfindet. Wir haben nie die Chance, die Action-Value-Gap in uns zu entdecken, wenn wir immer das Gefühl haben, wir verhalten uns unseren Werten entsprechend.“ Unser Verhalten kann sich nicht ändern, wenn wir unsere Action-Value-Gap nicht aufdecken. Der aversive Zustand, der uns dazu bringt, über unsere Entscheidungen nachzudenken und so auch zu Verhaltensänderungen führen kann, tritt nicht ein. „Deswegen ist es wichtig, dass Greenwashing den Leuten bewusst wird und sie kritischer mit Labels und bestimmten Versprechen umgehen“, findet Kathrin Reichmann.

Hier schließt sich der Kreis dieser Artikelserie zu Greenwashing. Es bleibt festzuhalten: Nur wer informiert ist und das eigene Verhalten reflektiert, kann in Folge auch bessere Entscheidungen treffen und eine positivere Auswirkung auf seine Umwelt haben. Es ist nicht immer einfach, gute und richtige Informationen zu erhalten. Das eigene Verhalten in Frage zu stellen und zu erkennen, dass man vielleicht in der Vergangenheit Fehler gemacht hat oder auch manchmal gar nicht die Möglichkeit hatte, anders zu handeln, kann anstrengend sein und demotivieren. Doch es ist der erste Schritt in die richtige Richtung.

Sich austauschen, neue Informationen suchen und auch die Möglichkeiten nutzen, die wir als Bürger:innen haben, um die Politik in die Verantwortung zu ziehen, machen den Unterschied. Vielleicht konnte diese Artikelserie bereits dabei helfen, den ein oder anderen neuen Gedanken anzustoßen. In den Quellen findet ihr weitere Artikel auf „Media Bubble“, die euch mit noch mehr Informationen zum Thema Nachhaltigkeit versorgen.

Quellen:

  • https://media-bubble.de/nachhaltigkeit-heute-im-trend-und-morgen-schon-vergessen/
  • https://media-bubble.de/nachhaltiges-marketing-am-beispiel-des-start-ups-duschbrocken-aus-stuttgart/
  • https://media-bubble.de/ein-blick-in-die-wissenschaft-formen-des-sustainability-marketing/
  • https://media-bubble.de/was-wir-vom-heutigen-klima-aktivismus-lernen-koennen/
  • https://media-bubble.de/fridays-for-future-eine-generationenfrage/
  • https://enveurope.springeropen.com/articles/10.1186/s12302-020-0300-3https://effectiviology.com/value-action-gap/
  • https://journals.sagepub.com/doi/10.1509/jmr.15.0574