Presserat

Der Presserat – rastlos im Einsatz und trotzdem ratlos?

von Miriam Heiner

„Wie viel Prozent der Rügen des Presserats waren für Bild?“, fragt Fiete Stegers, Multimedia-Journalist. Die Antwort: von 1997 bis zum 30. Oktober 2011 genau 24,5 Prozent aller Rügen des Deutschen Presserats – in Zahlen ausgedrückt 103 von insgesamt 420. Eine beeindruckende Zahl und für media-bubble.de ein Anlass, um sich den Deutschen Presserat genauer anzusehen: Was ist der Presserat? Welche Aufgaben hat er? Wofür steht er? Welche Sanktionsmöglichkeiten hat das Gremium?

Die Organisation

Im Presserat organisieren sich die vier großen deutschen Verleger- und Journalistenverbände: der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger e.V. (VDZ), der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju).

Die Aufgaben

Pressefreiheit

Der Presserat kümmert sich um die Pressefreiheitund um Beschwerden verschiedener Leser*innen. Foto: PDPics/Pixabay

Der Presserat sieht sich als freiwilliges Kontrollorgan der deutschen Presse und hat sich zwei große Aufgaben auf die Fahnen geschrieben: Die Lobbyarbeit für die Pressefreiheit in Deutschland und das Bearbeiten von Beschwerden aus der Leserschaft. Damit verbunden sind acht große Ziele: Als Vertreter der Journalisten versucht er sicherzustellen, dass die Pressefreiheit eingehalten und ein ungehinderter Zugang zu Nachrichtenquellen gewährleistet wird. Der Pressekodex gibt den Journalisten Richtlinien für seine tägliche Arbeit an die Hand. Eine saubere Recherche, die Achtung der Menschenwürde und eine klare Trennung von redaktionellen Texten und Anzeigen, die Achtung von Privatleben und Intimsphäre kennzeichnen demnach einen seriösen Journalismus, während die Redaktionen eine unnötig sensationelle Darstellung vermeiden sollen.

In seiner Funktion als Kontrollorgan ist der Presserat Ansprechpartner für Leser, Journalisten und Verleger. Sie können Beschwerden über einen Verstoß gegen die Richtlinien direkt an den Presserat wenden. Besonders bei den Lesern ist diese Möglichkeit beliebt – rund 1.100Privatpersonen wandten sich 2010 an den Presserat. Sie stießen damit 85 Prozent aller Beschwerden an.

Die Sanktionen

Der Presserat hat bei einem Verstoß einerseits die Möglichkeit, nicht-öffentliche Maßnahmen gegen eine Redaktion zu ergreifen oder dies öffentlich zu tun. Das sanfteste Sanktionsmittel ist der Hinweis. Ihn spricht der Presserat an die betroffene Redaktion bei einem geringen Verstoß gegen den Presskodex aus. Hinweise sind nicht-öffentlich. Die Missbilligung als zweite Möglichkeit ist ein Mittel gegen schwere Verstöße gegen den Kodex. Die betroffene Redaktion muss eine Missbilligung des Presserats gegen ihre Berichterstattung nicht abdrucken, der Beschwerdeausschuss des Presserats empfiehlt aus Fairnessgründen jedoch einen Abdruck. Die härteste Maßnahme des Presserats ist die Rüge. Rügen muss das betroffene Medium abdrucken – und sich damit selbst öffentlich an den Pranger stellen. Beispielsweise rügte das Gremium  die Zeitschrift „Die Aktuelle“ dafür, eine falsche Krankheitsgeschichte über TV-Comedian Gaby Köster abgedruckt und anschließend über die Genesung berichtet zu haben. Der Presserat sah die Persönlichkeitsrechte Gaby Kösters verletzt.

Die Zeitschrift „tv Hören und Sehen“ erhielt eine Rüge wegen der Veröffentlichung von Schleichwerbung. Das Magazin hatte vier Beiträge über Krankheitsbilder veröffentlicht, in jedem der Artikel wurde dabei ein Markenprodukt als Heilmittel genannt.

Großes Aufsehen erregte eine Rüge des Presserats für die „Bild-Zeitung“, als sie nach dem Tod des Popstars Michael Jackson ein Foto veröffentlichte, das den Musiker mit an ein Beatmungsgerät  auf einer Trage liegend zeigte und titelte „Hier verliert er den Kampf um sein Leben“. Der Presserat hielt diese Berichterstattung für „unangemessen sensationell“.

Der Presserat als „zahnloser Tiger“

Soweit die Fakten. Wie sieht die Arbeit des Presserats aber in der Praxis aus? 18 Rügen hat er 2011 ausgesprochen – die Bild-Redaktion überbietet mit sieben davon für die Bild-Zeitung oder Bild-Online ihren Gesamtschnitt mit umgerechnet rund 39 Prozent. Die Frage ist jedoch – was schadet es Deutschlands auflagenstärkster Tageszeitung? Nicht umsonst gilt der Presserat in der Branche als „zahnloser Tiger“. Mehr als rügen kann er nicht – und wenn die Rüge trotz der selbstauferlegten Verpflichtung der Mitglieder zur Veröffentlichung nicht veröffentlicht wird, bleibt als Sanktion nur – die Rüge. Kein Wunder also, dass die Bild-Redaktion 2004 sechs Rügen empfangen und keine davon abgedruckt hat.

Ein Blick auf die Statistik zeigt außerdem, dass der Presserat mit Rügen sehr zögerlich umgeht: Mit 812 Beschwerden befassten sich die Ausschusssitzungen – durchschnittlich waren damit immerhin 2,2 Beiträge in Print- und Onlineauftritten diskussionswürdig im Sinne des Pressekodex. 42 Rügen kamen dabei heraus. Falsche Zurückhaltung oder begründete Vorsicht? Der Grund für diese auf den ersten Blick geringe Quote liegt wahrscheinlich in der Natur der Sanktion selbst: Immerhin muss der Presserat bei einer Entscheidung für eine Rüge bedenken, dass ein Thema durch seine erneute Publikation im Zusammenhang mit einer Rüge erneut Aufmerksamkeit erzeugt – und so kann der Effekt schnell ins Gegenteil umschlagen. Außerdem: Wer hindert die betroffene Redaktion daran, die Rüge zum Anlass zu nehmen, um sich erneut hinter ihre eigene Berichterstattung zu stellen?