Den digitalen Nachlass regeln

Auf der eigenen Spur durchs Internet

Von Cecilia Schütte

Heutzutage ist es wichtig, das digitale Ich zu pflegen und die eigene Privatsphäre durch möglichst starke Sicherheitsvorkehrungen zu schützen. Kaum jemand macht sich jedoch Gedanken darüber, was mit den eigenen Daten passiert, wenn man plötzlich verstirbt oder dement wird und sich daher nicht mehr um die eigenen Angelegenheiten kümmern kann. In diesem Fall bietet nur ein digitaler Nachlass die Möglichkeit, mitzubestimmen.

Für die meisten Menschen ist das Internet bereits zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Lebens geworden. Dank neuer Technologien durchdringt es immer mehr Bereiche unseres analogen Alltags. Aber mit dem Angebot an Möglichkeiten und Dienstleistungen wächst auch die Datenspur der einzelnen Nutzer*innen. Chatverläufe, Versicherungsverträge und Urlaubsfotos in der Cloud – kaum jemand überblickt noch die Gesamtheit der eigenen Online-Präsenz. Doch obwohl die meisten Daten und Verträge eng an die eigene Person geknüpft sind, hören sie nicht mit dieser auf zu existieren. Selbst wenn das Schicksal einen zeitweise aus dem Leben reißt, bleiben kostenpflichtige Abonnements bestehen. Ohne eine entsprechende Regelung, haben es die Angehörigen eines schwer erkrankten oder verstorbenen Menschen schwer, sein digitales Leben zu erfassen und notwendige Maßnahmen zu ergreifen.

Der digitale Nachlass ist Teil der Erbmasse

Mit dem Tod eines Menschen gehen kraft Gesetzes all seine Rechte und Pflichten auf die Erbinnen und Erben über. In einem ersten Grundsatzurteil aus dem Jahr 2018 hatte der Bundesgerichtshof zunächst entschieden, dass diese Gesamtrechtsnachfolge auch den digitalen Nachlass einer/eines Verstorbenen umfasst. Damit treten die Erbinnen und Erben auch in Vertragsverhältnisse mit Online-Dienstanbietern ein und können auf sämtliche Daten ihrer/ihres Angehörigen zugreifen. Dies bedeutet aber auch, dass sie z.B. für wiederkehrende Zahlungspflichten durch Abonnements einstehen müssen. Zwei Jahre später präzisierte der BGH weiter, dass den Erbinnen und Erben dieselbe Kontoeinsicht zusteht, die auch der/die bisherige Nutzer*in hatte. Diese können nun von Facebook die Zugangsinformationen für das Nutzerkonto herausverlangen. Eine aktive Nutzung darüber hinaus ist ihnen in der Regel aber nicht erlaubt. Obwohl diese Urteile die Rechte der Hinterbliebenen ausdefiniert und gestärkt haben, bewirken sie in der Praxis nur wenig Erleichterung im Umgang mit dem digitalen Erbe. Hat die/der Verstorbene keine eigene Regelung getroffen, liegt eine schwere Aufgabe vor den Angehörigen. Trotz der Trauer um den geliebten Menschen, müssen sie sein Leben

in der digitalen Welt aufarbeiten, für jedes einzelne Konto einen Zugang einfordern und weiterführende Entscheidungen treffen. Bleibt das Konto bestehen oder wird es in den Gedenkzustand versetzt? Welche Daten gehen bei einer Kontoauflösung verloren? Oft machen auch ausstehende Zahlungspflichten ein zeitnahes Handeln erforderlich. Werden z.B. Gebühren für einen kostenpflichtigen Cloud-Speicher übersehen, droht die vollständige Löschung sämtlicher Inhalte und damit der Verlust kostbarer Erinnerungsstücke. Um den Hinterbliebenen etwas von dieser Last abzunehmen, hat Benjamin Waack die App „Beistand im Todesfall” entwickelt.

Mit Checklisten und E-Mail-Vorlagen begleitet sie die Verwaltung und Abwicklung eines digitalen Erbes. Der Entwickler hat die eigene Erfahrung gemacht, dass jedes Unternehmen verschiedene Nachweise für die Erteilung einer Lesebefugnis oder Kontolöschung einfordert. Dementsprechend hat er die Anforderungen der bekanntesten Dienstanbieter zusammengefasst. Die App bietet zwar eine Anleitung, die eigentliche Kommunikation mit den Unternehmen kann sie jedoch nicht leisten. Auch die Frage, welche Entscheidung für das jeweilige Konto die richtige ist, bleibt ungeklärt. Die größtmögliche Entlastung für Angehörige bewirkt daher nur eine Regelung durch den/die Verstorben*e selbst. Doch wo fängt man an?

Neun von zehn Deutschen nutzen das Internet. Die wenigsten haben sich jedoch bereits mit ihrem digitalen Nachlass auseinandergesetzt. Bild: Pixabay.

Aufräumen des digitalen Ichs

Bevor überhaupt irgendetwas geregelt werden kann, muss man sich einen Überblick über die eigene Online-Präsenz verschaffen. Die eigenen Spuren in die Tiefen des Internets zurückzuverfolgen, kann sich als schwierige Aufgabe erweisen. Das E-Mail-Postfach inklusive Spam-Ordner könnte noch alte Anmelde- oder Auftrags-Bestätigungen enthalten. So manches Mal erinnert einen auch die Autocomplete-Funktion des Browsers an oft besuchte Internetseiten. Entdeckt man auf diese Weise ungenutzte Konten, kann man sie bei dieser Gelegenheit gleich löschen lassen.

Der ideale digitale Nachlass ist eine Liste, in der alle aktuellen Nutzerkonten und die dazugehörigen Passwörter festgehalten werden. Um den Angehörigen böse Überraschungen zu ersparen, sollten auch wiederkehrende Zahlungspflichten durch Dienstleister darin auftauchen. Möchte man bestimmten Personen die Nutzung von Geräten wie Handy, Laptop oder Tablet erlauben, sollten auch diese Passwörter nicht fehlen. Natürlich ist darauf zu achten, dass die Informationen in der Liste immer aktuell bleiben.

Manche Hinterbliebene möchten die Privatsphäre ihres*ihrer Angehörigen auch nach dem Tod wahren und verzichten darauf, alle Daten zu sichten. Für andere ist jedes Bild und jeder Chatverlauf wichtig, um die eigene Trauer zu bewältigen. Bild: Pixabay.

Man kann Angehörigen auch den Zugriff verwehren

Auf diese Weise können die Hinterbliebenen die Online-Präsenz ihrer/ihres Angehörigen schnell erfassen und eingrenzen. Außerdem erhalten sie direkten Zugriff auf die einzelnen Konten und Daten. Es ist aber auch möglich, genau zu bestimmen, was mit den einzelnen Bestandteilen des digitalen Nachlasses passiert. Möglicherweise möchte eine Person nicht, dass private Nachrichten von nahen Verwandten gelesen werden. Vielleicht sind die Geräte auch für einen/eine Freund*in und nicht für die Familie bestimmt. Denkbar ist es auch, unterschiedliche Anweisungen für verschiedene Szenarien zu treffen.

Grundsätzlich können aber sogar einzelne Dateien und Fotos an bestimmte Personen vererbt werden. Zu beachten ist allerdings, dass man für online erworbene Bücher, Filme oder Spiele oft nur ein lebenslanges Nutzungsrecht und kein tatsächliches Eigentum erhält. Die Vererbung mehrerer Staffeln der Lieblingsserie aus der eigenen Online-Mediathek ist also nicht möglich. Natürlich könnten die Erbinnen und Erben mit den jeweiligen Zugangsinformationen trotzdem auf die Medien zugreifen. Es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass das Unternehmen ein Konto sperren wird, wenn es vom Tod der/des bisherigen Nutzerin/Nutzers erfährt. Um Missverständnisse oder sogar einen möglichen Identitätsmissbrauch zu vermeiden, sollten die Erbinnen und Erben sowieso dazu angehalten werden, den jeweiligen Dienstanbieter von dem Erbfall zu informieren und das Konto nicht einfach weiter zu nutzen.

Erhalten die Erbinnen oder Erben die Passwörter für die Endgeräte ihres*ihrer Angehörigen, können sie ggf. auch schnell auf seine*ihre Konten zugreifen. Bild: Pixabay.

Eine Vorsorgevollmacht kann auch schon zu Lebzeiten nützlich sein

Da die Liste mit dem digitalen Nachlass sehr sensible Daten enthält, sollte sie sicher verwahrt werden. Eine handschriftliche Version überdauert die Zeit wahrscheinlich besser, ist aber schwieriger zu schützen. Eine digitale Liste kann mit einem Master-Passwort verschlüsselt und auf einem USB-Stick gespeichert werden. Damit die Arbeit nicht umsonst war, darf man natürlich nicht vergessen, das Passwort einer nahestehenden Person anzuvertrauen. In jedem Fall muss es jemanden geben, die/der weiß, wo sich die Liste mit den Daten und Anweisungen befindet.

In vielen Fällen werden Verwandte oder der/die Partner*in zur/zum Verwalter*in des digitalen Nachlasses erklärt. Dafür braucht es eine Vollmacht, die über den Tod hinaus gilt und mit einem Datum, sowie der eigenhändigen Unterschrift versehen ist. Möglich ist auch, dem*der Bevollmächtigten Befugnisse zu erteilen, die noch zu Lebzeiten gelten sollen. Wenn der*die Betroffene z.B. nach einem Autounfall im Koma liegt, kann die Vertrauensperson bereits Abonnements kündigen oder Dienstanbieter benachrichtigen. Sollte sich das Vertrauensverhältnis aufgrund von Streit oder einer Trennung ändern, kann die Vollmacht jederzeit widerrufen werden

Die sicherste Lösung bietet eine eigene Erklärung

Auch, um selbst mehr Klarheit zu erhalten, bieten Plattformen wie Facebook oder Google eigene Regelungsmöglichkeiten für den digitalen Nachlass an. So kann man beispielsweise für Google festlegen, dass bei längerer Inaktivität des Kontos eine Kontroll-SMS versendet wird. Reagiert man darauf nicht, wird das Konto entweder automatisch gelöscht oder es wird eine Kontaktperson benachrichtigt. Die angebotenen Optionen sind allerdings an das Interesse des jeweiligen Unternehmens geknüpft und können sich mit der Zeit sogar ändern. Es ist deutlich sicherer, die Zugangsinformationen selbst festzuhalten und eine eigene Entscheidung für die Konten zu treffen. Erscheint einem das Erstellen und Verwalten des digitalen Nachlasses zu mühsam, könnten kommerzielle Dienstleister eine praktische Alternative darstellen. Man sollte sich jedoch bewusst machen, dass man dabei sehr sensible Daten und Informationen weitergibt. Sollte es wider Erwarten doch zu einer Sicherheitslücke kommen, droht möglicherweise ein unwiederbringlicher Schaden. Außerdem können, je nachdem wann im Leben man den digitalen Nachlass erstellt, mit den Jahren hohe Kosten auf einen zukommen.

Wenn man bedenkt, welche Mühen und Sorgen man den eigenen Angehörigen ersparen kann, erscheint der Aufwand für die Erstellung eines digitalen Nachlasses sehr gering. Sowohl für die anzufertigende Liste als auch für die Vollmacht sind Muster frei verfügbar. Außerdem kann es auch für die eigene Planung nützlich sein, das digitale Ich etwas aufzuräumen und auszumisten. Wir verbringen so viele Stunden online und vor Bildschirmen, da können wir uns ruhig etwas Zeit nehmen, unseren eigenen Spuren nachzugehen.

Genaue Hinweise und Vorlagen für das Erstellen eines digitalen Nachlasses findet ihr hier:

https://www.verbraucherzentrale.de/wissen/digitale-welt/datenschutz/digitale-vorsorge-digitaler-nachlass-was-passiert-mit-meinen-daten-12002

Die App von Benjamin Waack gibt es hier:

https://apps.apple.com/de/app/beistand-im-todesfall/id1494683105 (Für Android-Nutzer*innen ist die App kostenlos)