Tod und Rückkehr der Comic-Industrie

von Marius Lang
Illustration von Henrike W. Ledig

Die 80er waren ein großartiges Comicjahrzehnt: Watchmen, V for Vendetta, The Return of the Dark Knight. Ein Jahrzehnt, das die Comics durch ernste, erwachsene Themen und Geschichten aus dem Stand heraus modernisierte. Das Modern Age der Comics war angebrochen. Anglo-amerikanische Comicbücher werden im Allgemeinen von Fans und Verlagen in Zeitalter aufgeteilt. Dies begann mit dem Golden Age, das mit dem ersten Auftritt Supermans 1938 beginnt. Es folgte das Silver Age von 1956 bis etwa 1970, das sich vor allem durch verrückte Stories einen Namen machte, und schließlich das Bronze Age, in dem Autoren vermehrt ernstere Themen einbauten. Diese wurde nun in den 80ern vom Modern Age abgelöst, was in vielen jungen Lesern und alten Fans Hoffnungen auf weitere erwachsene Comics weckte. Die Hoffnung, dass das man als Fan endlich offener mit seinem Hobby umgehen könnte, ohne als Kindskopf gebrandmarkt zu werden.

Dann kamen die 90er. Und alle Hoffnungen wurden bitter enttäuscht. Was war geschehen, dass bei der Mehrheit der Comicfans heute der Konsens herrscht, dass man die 90er comictechnisch lieber vergessen sollte? Um das zu verstehen, muss man die vier Faktoren betrachten, die diese Entwicklung vorangetrieben hatten. Diese sind die Comicspekulationsblase, Image Comics, der Erfolg der Superstarartists und die Dark Age. Alle begünstigten sich gegenseitig und trieben den Niedergang des Mediums in diesem Jahrzehnt vor sich her.

Es war einmal im Dark Age

Wie bereits zu Anfang erwähnt, erschienen in den 80er Jahren einige Comics, die das Medium an sich aufrüttelten: Sie waren oft düstere und durch und durch erwachsene Neuinterpretationen klassischer Helden und Ideale. Und weil die Comicindustrie schon damals hauptsächlich von erwachsenen Fans lebte, konnten diese nun wesentlich aufgeschlossener mit ihrem Hobby umgehen. Die Industrie sah darin eine lukrative Einnahmequelle und man versuchte gerade diese Käufer direkter anzusprechen. Die Folge war das sogenannte Dark Age: Die Comics der 90er wurden überschwemmt mit scheinbar erwachsenen Inhalten. Die Geschichten waren brutaler, blutiger und düsterer. Figuren wurden mit seltsamen Proportionen dargestellt, männliche Charaktere wurden in absurdem Ausmaß muskelbepackt, weibliche Figuren übersexualisiert und beide anatomisch unrealistisch dargestellt. Völlig unpraktische Kostüme und großkalibrige Waffen (vor allem in den Image Comics dieser Zeit, dazu später mehr) waren überall zu sehen. Doch daneben resultierte noch etwas anderes aus dem Coming Out erwachsener Comicfans und begünstigte dabei die Dark Age noch weiter: Die Comicspekulationsblase. Mit dem wachsenden Markt an reifen Lesern begann die Presse plötzlich auch auf Comics als Wertanlage aufmerksam zu werden. Berichte von Comics, die für tausende von Dollars verkauft wurden häuften sich. Eine Ausgabe von Action Comics #1 (der erste Auftritt von Superman) knackte die Million-Dollar-Marke. Das rief Spekulanten auf den Plan, die einen Weg sahen, Comics billig zu kaufen und nach einigen Jahren mit großem Gewinn wieder zu verkaufen. Das hatte zeitweise den Effekt, dass die Verkäufe von Comics in die Höhe schossen, insbesondere von Comics, die besonderen Sammlerwert versprachen. Also solche mit dem ersten Auftauchen von Charakteren, den Toden wichtiger Charaktere, mit tiefgreifenden Veränderungen und so weiter. Die Industrie sprang darauf auf und veröffentlichte extrem viele Comics, die genau das beinhalteten. Helden starben, neue Figuren wurden eingeführt und den Comics wurden Gimmicks beigefügt, die sie im zu erwartenden Sammlerwert steigen lassen sollten. Als Superman 1992 starb, berichteten selbst klassische Medien davon. Die Spekulationsblase wuchs immer weiter und das böse Erwachen drohte schon am Horizont.

Von Künstlern und Rechten

Zunächst waren jedoch auch noch andere Faktoren am 90er-Comic-Drama beteiligt, die auf die Künstler des Mediums zurückzuführen sind. Bis in die 90er waren diese zumeist als wichtiger angesehen als die Autoren. Um die Zeichner noch fester an sich zu binden, erhielten sie in den 90ern zusätzliche Privilegien. Vor allem ließ man Zeichner auch schreiben, selbst wenn diese kaum Erfahrung als Autoren hatten. Der Superstarartist war geboren. Und die Problematik darin zeigte sich schon sehr bald. Doch einigen Zeichnern ging dies noch nicht weit genug. Wichtig ist eine Geschäftsnorm des Mediums, vor allem bei den Comicverlagsimperien DC und Marvel. Danach haben Künstler keine weiteren Rechte an ihren Kreationen. Auf diese Art können spätere Künstler und Autoren die Stories weiterführen, ohne dass man größere Rechtstreits führen muss. Die künstlerische Kraft dahinter fühlte sich aber berechtigterweise benachteiligt und eine kleine Gruppe von Zeichnern stellte ihrem Verlag Marvel ein Ultimatum. Als der sich weigerte, ihnen noch mehr Rechte einzuräumen, verließen die Zeichner, darunter Rob Liefeld (Erfinder von Deadpool), Jim Lee (Zeichner von Batman, X-Men) und Todd McFarlane (Erfinder von Spawn) Marvel und gründeten Image Comics. Hier war Geschäftsnorm, dass Künstler nie ihre Rechte an ihren Schöpfungen vollständig verlieren. Und zu Anfang sah es für Image auch sehr gut aus.

Bis die Blase platzt

Aber dann brach alles in sich zusammen. Die Spekulationsblase war vor allem für den finanziellen Kollaps verantwortlich. Als sich herausstellte, dass all die Comics, auf die die Spekulanten ihr Geld gesetzt hatten, nichts wert waren, platzte die Blase. Das Problem war, dass sich die alten Comics so teuer verkaufen ließen, weil es eben nur noch so wenige, gut erhaltene Exemplare gab. Die modernen Comics gab es in Massen und kein Glitzerfoliencover konnte daran etwas ändern. Der Effekt war dramatisch. Comicreihen wurden eingestellt, etliche Comicläden mussten schließen und Marvel meldete 1996 schließlich Konkurs an. Und auch auf künstlerischer Seite lief es nicht besser. Es zeigte sich, dass die Superstarartists nun mal zum Großteil keine Autoren waren. Ihre Geschichten waren oft nicht besonders gut. Und trotz aller guten Vorsätze war dies auch bei Image Comics spürbar. Die Industrie schrumpfte und würde lange brauchen, um sich von dem Schlag zu erholen.

Doch das Leben geht weiter. Die Ära der 90er wird zwar immer als ein Tiefpunkt der Industrie in Erinnerung bleiben, als die Verleger an ihrer eigenen Gier fast komplett zugrundegingen, aber hin und wieder finden sich einige Schätze. Die Storyline The Death and Return of Superman aus den 90ern ist auch heute noch wirklich gut zu lesen. Und die Industrie erholte sich. Zum Ende des Jahrzehnts sah es schon wieder besser aus. Und mit etwas Glück haben alle Beteiligten etwas aus dem Fiasko gelernt.

 

Zum Thema:

Various: The Death and Return of Superman

Various: Batman – Knightfall

Alan Moore: Watchmen

Frank Miller: The Return of the Dark Knight

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