von Alexander Karl

Airen ist kein Sascha Lobo, keiner, der von Talkshow zu Talkshow tingelt und sein Gesicht in die Kamera hält. Im Gegenteil: Airens Charme war und ist es, nicht öffentlicht zu sein, sondern nur seine Worte in Blogs oder Büchern sprechen zu lassen. Anscheinend war davon auch eine gewisse  Helene Hegemann begeistert, die sich durch seinen Blog „inspirieren“ ließ. Und erst, als Hegemanns „Montage“ bekannt wurde, wurde es auch Airen.

Worte sind Schall und Rauch

Trotz seiner positiven Erfahrungen mit dem schriftlichen Bloggen beschwört Airen in einem aktuellen Artikel der ‚Welt‚ zunächst das Ende des geschriebenen Blogs:

Bloggen, das ist vorbei. Wer setzt sich denn heute noch hin und liest, old school, Texte mit Buchstaben und so? Die Zehnerjahre gehören eindeutig dem Vlog, dem Video-Blog, der Real-Time-Selbstinszenierung im Netz.

Er stellt Menschen vor, die regelmäßig ihr Gesicht in die Kamera halten, um via YouTube Tipps für alle Lebenslagen zu geben. Der Preis dafür ist aber auch der Erfolg: Man erhält im besten Fall Aufmerksamkeit, wird erkannt, wird bekannt. Manche Video-Blogger wollen genau das: Bekanntheit erlangen und bestenfalls dafür noch bezahlt werden. Denn laut Airen lässt YouTube die Egozentriker mit ihrer Pseudo-Hilfe nicht mehr leer ausgehen, sondern beteiligt sie an den Werbeeinnahmen. Einer dieser Vlogger ist übrigens HerrTutorial, der mit seinen über 270.000 Abonnenten mehr als 10 Mal so viele hat wie der ZDF-YouTube-Kanal. Herr Tutorial liefert etwa Tipps zum Kuss-Verhalten oder wie man sich richtig rasiert – und das alles witzig, ein wenig überdreht und ziemlich sympathisch. Einher geht aber immer der Appell: Folgt mir bei Facebook! Und Twitter! Klickt gefällt mir! Abonniert meinen Kanal! Jetzt! Sofort! Los!

Oder doch nicht?

Doch Airen, der selbst eine Blogger-Vergangenheit hat, die man in dem guten, aber extremen Buch ‚Strobo‚ nachlesen kann, bricht auch eine Lanze für das geschriebene Online-Wort:

Spannend wurde es bei geschriebenen Blogs immer dann, wenn jemand diese Plattform für sich selber nutzte: um Unverarbeitetes Unbekannten mitzuteilen, um den Thrill dieses gefährlichen Gemischs aus halb versteckter Anonymität und grenzenloser Ehrlichkeit auszukosten. Das war keine Selbstdarstellung, sondern maximale Selbstentblößung. […] Ich kenne keinen guten Blogger, der seine Texte gefahrlos vor einer Kamera vortragen könnte. Vielleicht wäre er auch zu hässlich oder zu nervös oder redete undeutlich und hätte Angst, sich vor Menschen zu präsentieren. Er hätte es auch gar nicht nötig: Seine Worte sind stark genug.

Ohne Zweifel haben VBlogs ihren Reiz, HerrTutorial zuzusehen hat einen gewissen Unterhaltungswert. Doch sind es oftmals solche Fast-Food-Videos, deren Mehrwert für Klimawandel- und Atomkraftdebatten relativ gering sind. Video-Blogs leben von ihrer Lebendigkeit, wahrscheinlich auch einem gewissen Witz und etwas Ironie. Denn um komplizierte Sachverhalte  darzustellen, bedarf es mehr als einer kleinen Kamera und eigenen Erfahrungen, sondern fundierter Recherche und am besten auch noch Grafiken und jeder Menge Bewegtbild. Dadurch steigt aber auch der Aufwand, denn die Sachverhalte werden dann nicht nur in Form von Text beschrieben, sondern müssen mit Bildern untermalt sein, wenn man nicht unablässig selbst vor der Kamera stehen will. Natürlich wäre auch das eine legitime Möglichkeit für manchen Selbstdarsteller, doch bei harten Themen würde wohl der Unterhaltungswert sinken – und damit die Klicks.

Schlussendlich kommt auch Airen zu dem Schluss, dass VBlogger einen Unterhaltungswert haben, aber wohl kaum einem Mehrwert:

Wenn alles öffentlich ist, wenn der Name und die Stimme und das Gesicht für jeden abrufbar sind, ist Offenheit unmöglich. Vlogger haben einfach nichts zu verstecken. Und deswegen auch so extrem wenig zu erzählen.

Also ist geschriebene Blog nicht tot? Nein (grammatikalisch korrekt ‚Ja‘), geschriebene Blogs wird es wohl noch eine ganze Weile geben. Denn die Langlebigkeit eines Mediums ist verblüffend – so erschien Airens Artikel auch in einem anderen bereits oftmal zum Tode verurteilen Medium: Der Zeitung.

Foto: Screenshot des Videos HerrTutorial/XTREMES RASIEREN!!! 1×1 – So Rasiert man sich Richtig! –