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Donna Haraway: Verwischte Grenzen & neue Welten

Theorie soll grau und langweilig sein? Da würde ich dagegenhalten und deshalb möchte ich in diesem Beitrag eine meiner Lieblingstheoretiker*innen vorstellen und auch zeigen, warum sie gerade hier, auf einem Medienkritischen Blog, ihren Platz verdient hat. Denn Donna Haraway ist Grenzenverwischerin, Hinterfragerin und Erzählerin von neuen Geschichten, mit dem Ziel eine bessere Welt für alle Wesen, aber auch nicht-Wesen zu erschaffen. Klingt alles andere als grau- oder?!

Künstliche Intelligenz

Die Künstliche Intelligenz (KI) ist aktuell in aller Munde und begegnet uns inzwischen fast überall. Ist von KI die Rede, dann ist damit gemeint menschliches Denken und Handeln durch Maschinen nachzuahmen. Aufgrund von Algorithmen können die Maschinen lernen, verstehen und dementsprechend handeln. Was manchmal noch wie Science-Fiction klingt, ist jedoch längst Realität und auf einem unaufhaltbaren Vormarsch.

De/Recontextualizing Characters

Wie Phantome – Figuren außerhalb des Narrativs

Jeder kennt sie: Figuren, Maskottchen und ähnliche niedlich anmutende, fiktive Charaktere aus Werbung, Fernsehen & Co. Doch was sind solche prä-narrativen und meta-narrative Figuren? Wie sich die medienwissenschaftliche Forschung hierzu gestaltet, zeigt uns Gastautor Lukas Wilde.

Der Reiz der Dystopie

Warum sie gerade jetzt wieder einen Boom erlebt

Von Antje Günther

Einige Zeit war es still um sie geworden, doch in den letzten Jahren boomt die Dystopie wie nie zuvor. Was ist es, was dieses Genre gerade heute so erfolgreich macht?

Culture of fear und die Dystopie

Artikel 10 (2)Ein möglicher Grund ist die aktuelle gesellschaftliche Situation. So ungreifbar und zahlreich wie heute war die Bedrohung noch nie. Sah man früher der Gefahr mehr oder weniger direkt ins Auge, so versteckt sie sich heute im Untergrund – oder im Internet. Auf den ersten Blick erscheint dies eine logische Erklärung, verfehlt aber im Kern das Problem. Denn das Leben heute ist nicht risikoreicher als vor einigen Jahren. Im Gegenteil: Wir leben länger als früher, sind gesünder und viele Sachen, die früher große Probleme darstellten, sind heute mit einfachsten Mitteln zu lösen. Was sich geändert hat, ist die Perspektive, die Betrachtung und Einschätzung von Risiken. Wir leben in einer Zeit die Furedi 1998 und Glassner 1999 als „Culture of Fear“ bezeichnet haben, eine Kultur der Angst, in der die banalsten Tätigkeiten plötzlich zum Risiko erklärt werden. War Busfahren lange Zeit eine Sache, der man ohne Bedenken nachging, so kursieren heute die Warnungen vor Taschendieben und Gewalttätern, die einen ausrauben könnten. Dasselbe gilt für Lebensmittel, die wahlweise voll von Antibiotika, Bakterien oder Schadstoffen sind.

Diese Atmosphäre permanenter Bedrohung nutzt die Wirtschaft aus und so boomt nicht nur die Sicherheitsindustrie mit ihren Alarmanalagen und Überwachungskameras. Auch die Dystopie und andere kulturelle Angebote profitieren davon, in dem sie genau an dieser Angst ansetzen. Sie führen dieses Denken, die Verehrung von Sicherheit, konsequent zu Ende, zum Beispiel in Form totalitärer Überwachung. Die Dystopie ist im Moment vor allem deswegen so erfolgreich, weil sie so wahrscheinlich erscheint, die Motive der totalitären Herrscher so nachvollziehbar sind und weil sie so nah am Zeitgeist ist, wie vielleicht noch nie.

Der Boom der Young Adult Dystopie

Aber es ist nicht nur die Dystopie im Allgemeinen, die boomt, sondern im Besonderen die Young Adult Dystopie. Nach den Vampiren und übernatürlichen Kreaturen sind es nun Dystopien, die den Markt für junge Leser überschwemmen. Doch es sind längst nicht nur Jugendliche, welche sich für die Geschichten um Katniss und Co. begeistern. Auch immer mehr Erwachsene greifen zu Büchern, die ursprünglich an ein jüngeres Publikum gerichtet waren. Dieses Phänomen, genannt Crossover Literatur, findet sich nicht nur im Bereich der Dystopie sondern auch in vielen anderen Young Adult Genres, angefangen mit der Harry Potter Reihe oder aber auch Klassikern wie Alice im Wunderland oder Lord of the flies, die ebenfalls für Kinder bzw. Teenager gedacht waren.

Artikel 10 (1)Der Trend, als Erwachsener Jugendliteratur zu lesen, liegt dabei vermutlich in den Merkmalen des Genres und den gesellschaftlichen Zuständen begründet. Die Young Adult Literatur beschäftigt sich in ihrem Kern mit dem Erwachsenwerden, der Pubertät; einer Phase voller Umbrüche und Veränderungen. Es ist eine Zeit, in der die eigene Identität geformt wird; eine Zeit, in der Fragen wie „wer bin ich?“ und „was will ich eigentlich?“ eine zentrale Rolle spielen. Die jugendlichen Protagonisten müssen ihren Platz in der Welt erst noch finden und erkennen, was für sie wichtig ist.

Gerade diese Identitätssuche ist aber in der Postmoderne kein Phänomen mehr, das ausschließlich auf die Jugend beschränkt ist. Durch den Wegfall von festen Identitätsgrößen wie der Kirche und der Standesgesellschaft, liegt es nun am Individuum selbst, seine Identität zu bestimmen. Das postmoderne Subjekt, wie Stuart Hall es formuliert, ist fragmentiert und setzt sich aus mehreren, sich manchmal auch widersprechenden Identitäten zusammen. Identität ist nun etwas, das kontinuierlich gebildet und verändert wird, sodass sich die Erlebnisse des postmodernen Subjekts in seiner Identitätssuche an die eines Jugendlichen annähern. Die Verwirrung über die eigene Identität ist somit nicht nur etwas, das die jungen Leser nachvollziehen können; es ist zu einer Art Modus des gesamten Lebens geworden.

In dieser Kombination von gesellschaftlichen Zuständen, in denen Sicherheitswahn und Identitätssuche unser Leben bestimmen, scheint es wenig verwunderlich, dass gerade die Young Adult Dystopie unsere Bücherregale füllt. Sie verbindet das zentrale kulturelle Thema von Risiko und Sicherheit mit einer Narration über das Erwachsenwerden; über eine Phase, die in unserer heutigen Gesellschaft nie ganz abgeschlossen zu sein scheint.

Fotos: flickr.com/Magdalena Hörmann-Prem (CC BY 2.0), flickr.com/elycefeliz (CC BY-NC-ND 2.0), flickr.com/Dominic Sayers (CC BY 2.0)


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Die Young Adult Dystopie – nur noch Kitsch?

Die Dystopie auf der Leinwand (1)

Die Dystopie auf der Leinwand (2)

Wie man mit sechs Werkzeugen eine dystopische Gesellschaft erschafft

Von Antje Günther

So unterschiedlich die verschiedenen Ausgestaltungen der Dystopie über die Jahre auch waren, die Machtwerkzeuge der Herrschenden scheinen doch überwiegend die gleichen geblieben zu sein. Überwachung, Einschüchterung, ein bisschen Zuckerbrot und noch viel mehr Peitsche, so scheint es zu funktionieren mit dem Herrschen in der Dystopie. Bei näherer Betrachtung kristallisieren sich insbesondere sechs Machtwerkzeuge heraus:

Werkzeug 1 – Das Territorium

6. Artikel (2)Die Wahl des Territoriums ist entscheidend für den Erfolg einer dystopischen Gesellschaft. Das Gelände sollte gut zu überwachen sein und das Errichten von Grenzen vereinfachen. Häufig werden bereits bestehende natürliche Grenzen zum Zwecke der Abschottung instrumentalisiert. So liegt das Kapitol der Hunger Games Trilogie beispielsweise hinter den Rocky Mountains, die somit eine natürliche Abwehrbarriere schaffen. Andere „natürliche“ Grenzziehungen entstehen durch Naturkatastrophen oder weitere apokalyptische Szenarien. In der Regel werden diese Grenzen durch den Bau einer Mauer dann noch zusätzlich visualisiert, zu sehen beispielsweise in der Divergent Reihe oder in Lowrys The Giver. Die Abschottung nach außen ist dabei das wichtigste Werkzeug der Dystopie: Sie verhindert den Informationsfluss von und nach außen und schafft eine Gesellschaft, die kontrollierbar wird.

Werkzeug 2 – Überwachung und Bedrohung

Neben dem abgeschotteten Territorium ist insbesondere der allgegenwärtige Überwachungsapparat Teil einer jeden Dystopie. Der Staat muss dabei gar nicht immer überall sein, sondern vor allem das Gefühl der Omnipräsenz erwecken. Das berühmteste Beispiel bleibt dabei der Große Bruder, der in seiner Detailliertheit und Reichweite unerreicht bleibt. Die ständige Überwachung durch die Teleschirme inspirierte zahllose nachfolgende Visionen der Überwachung durch Technik. Neben der technologischen Überwachung gibt es aber auch Dystopien, die überwiegend analog arbeiten. In der französischen Jugendbuchreihe Méto werden die Kinder des Hauses beispielsweise von eingeschleusten Spitzeln überwacht. Bei einer Übertretung der Hausregeln werden sie an die Cäsaren verraten und erhalten eine Bestrafung, die in der Regel aus dem Einsperren in den Kühlraum besteht. Diese Androhung oder Durchführung von körperlichen Strafen ist ebenfalls ein wichtiges Werkzeug der Dystopie. So entsteht ein Klima der Bedrohung, das die Bürger davon abhält, sich gegen das Regime aufzulehnen.

Werkzeug 3 – Einschleusen von Spionen und das Schaffen von Misstrauen

Das Einschleusen von Informanten und Spionen hat aber noch eine weitere Funktion: Es schafft Misstrauen unter den Bürgern. Durch die Omnipräsenz des Staates und der Möglichkeit von Spitzeln kann sich niemand sicher sein, ob er nicht gerade mit einem Informanten spricht. So überwacht sich die Gesellschaft des dystopischen Staates in vielen Teilen selbst, aus Angst verraten zu werden. Dieser Mechanismus ist klar zu sehen in Orwells 1984 aber auch in neueren Dystopien wie in Rick Yanceys Fifth Wave Reihe, in der genau dieses Misstrauen auf die Spitze getrieben wird. So erschießt Protagonistin Cassie einen Soldaten, der sich später als menschlich herausstellt, einfach weil sie sich nicht sicher sein kann, ob er nicht doch ein Alien ist.

Werkzeug 4 – Kontrolle von Vergangenheit und Erinnerung

Ebenfalls ein wichtiges Werkzeug ist die Kontrolle von Vergangenheit und Erinnerung. Winstons Job im Ministerium der Wahrheit (aka Minitrue) stellt hier wiederum die bekannteste Realisierung dar. Angestellt dazu, um sogenannte „Unpersons“ aus den Geschichtsbüchern und allen anderen Aufzeichnungen zu entfernen, verdreht er die Geschichte zugunsten des Staates. Dieses Motiv findet sich auch in Lowrys Roman The Giver (1993) wieder, in dem Erinnerungen eine zentrale Rolle spielen. Lediglich der Geber und der neue Hüter der Erinnerungen können sich an die Vergangenheit erinnern und der Geber hat die Kontrolle darüber, welche Erinnerungen er weitergibt. Das Verdrehen oder Vergessen der Geschichte und insbesondere der Entstehung der eigenen Gesellschaft ist ein weitreichender Tropus der sich sowohl in der klassischen Dystopie bei 1984, Brave New World und Fahrenheit 451 finden lässt, als auch in neueren Erzählungen wie The Giver, den Hunger Games und Divergent vorhanden ist.

Werkzeug 5 – Die Beherrschung der Sprache

Ebenso wie bei der Kontrolle der Vergangenheit teilen viele Dystopien den Drang, die Sprache ihrer Bewohner zu kontrollieren. Dies beginnt meist im Kleinen mit dem Herausbilden einzelner Unwörter. In Brave New World sind beispielsweise die Ausdrücke „Vater“ und „Mutter“ verpönt, da Kinder nur noch künstlich erschaffen werden und diese Wörter somit eine rückständige Zeit symbolisieren. Darüber hinaus spielen viele Dystopien mit Euphemismen; insbesondere für Tötungsakte lassen sie sich beschönigende Worte wie befreien (The Giver) oder vaporisieren (1984) einfallen. Die umfassendste Sprachkontrolle stellt aber wiederum Orwells Newspeak dar. Newspeak vereinfacht das Standardenglisch, streicht Synonyme und Antonyme und reduziert damit den Wortschatz drastisch, sodass alternative Gedanken nicht mehr ausgedrückt werden können. Die Kontrolle der Sprache ist somit letztendlich die Kontrolle der Gedanken und des Geistes. Aus diesem Grund spielen Sprache und Literatur häufig eine große Rolle bei der Rebellion gegen das Regime.

Werkzeug 6 – Das Zuckerbrot bzw. die utopische Idee

Neben den ganzen Repressalien braucht die Dystopie aber auch einen Lichtblick, eine utopische Idee mit der sich die Strapazen der Bürger erklären und rechtfertigen lassen. Hinter jeder dystopischen Gesellschaft stand zunächst der Wunsch, eine bessere Welt zu erschaffen, sei es durch die vollkommende Gleichheit aller Bürger oder dem Auslöschen von Gewalt und Tod. Ohne diese Idee wird das System sinnlos und die Position des Protagonisten in seiner anfänglichen Unwissenheit unglaubwürdig. Über diese Grundidee hinaus bieten viele Dystopien ihren Bürgern aber noch weitere Annehmlichkeiten wie technologischen Luxus oder die Erfüllung sexueller Vorlieben. Die Dystopie muss somit gewisse Grundbedürfnisse erfüllen, um funktionieren zu können. Denn die beste Dystopie ist immer noch diejenige, in der sich die Mehrzahl der Bürger gar nicht bewusst ist, dass sie in einer solchen lebt.

Fotos: flickr.com/Jason Ilagan (CC BY-ND 2.0), flickr.com/US Geological Survey (CC BY 2.0)


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