Tag 4: Warum Sofort-Überweisungen SOFORT-Überweisungen heißen

von Caroline Wahl

Donnerstag. Zehn Uhr zehn. Ich sitze in der Bib und lerne. Beziehungsweise drucke ich bevor ich richtig anfange zu lernen die Texte aus, die ich in weniger als vierundzwanzig Stunden intus haben muss. Ich schreibe morgen eine Klausur, meine erste Online-Klausur.

Donnerstag. Elf Uhr. Ich beschließe mir eine kleine Lern-Auszeit zu gönnen und suche im Netz nach Zugverbindungen. Ich habe zu der Party in meiner Heimatstadt zugesagt, auf der auch der auch der ominöse Herr Ian erscheinen wird. Einundfünfzig Euro? Die Deutsche Bahn spinnt doch. Ich muss umdisponieren.

Donnerstag. Elf Uhr dreiundfünfzig Nach einem Umweg über mitfahrgelegenheit.de und blablacar.de finde ich zum Glück einen um einiges preiswerteren Fernbus. Bezahlung per Kreditkartenzahlung (VISA oder MasterCard), PayPal, SofortÜberweisung oder iDeal. Verdammt. Zu keiner der angegebenen Zahlungsarten fühle ich mich in der Lage. Ich besitze keine Kreditkarte, bin auch nicht bei PayPal und weiß nicht was eine Sofort-Überweisung, geschweige denn was iDeal ist. Bei meiner Mama anzurufen und darum zu betteln, dass sie mir den Fernbus bezahlt, weil ich, einundzwanzigeinhalb Jahre alt, noch darüber hinaus Medienwissenschaft-Studentin, mit der Transaktion überfordert bin, ist selbst für meine Verhältnisse zu armselig. Also google ich „Sofort-Überweisung“ und bin begeistert. Das schaffe sogar ich! Man muss lediglich Name, ein paar Zahlenkombinationen eingeben, die auf der EC-Karte stehen und dann noch den PIN und TAN eingeben und schwuppdiwupp habe ich ein Bus-Ticket. Das ist ja easy. Ha Mama, was sagst du jetzt?

Donnerstag. Zwölf Uhr neun. Zu meiner Freude habe ich gerade festgestellt, dass sowohl bei Ikea als auch bei Snipes Sofort-Überweisungen möglich sind. Ich überlege, was ich mir bei Ikea bestellen könnte. Neue Bettwäsche könnte ich wirklich gebrauchen. Gekauft. In meiner Euphorie erwerbe ich noch trendige Adidas-Sneaker bei Snipes. Und lustige Socken mit Käfern bestickt. Gekauft. Und ich habe gar nicht das Gefühl zu viel Geld ausgegeben zu haben. Das ging so schnell. Da hat man gar keine Zeit ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Klick. Klick. Schöne neue Schuhe. Und Socken. Und Bettwäsche.

Donnerstag Zwölf Uhr zehn. Jetzt habe ich doch ein schlechtes Gewissen. Die Schuhe waren echt teuer. Die haben mehr gekostet als einundfünfzig Euro. Die Deutsche Bahn ist schuld an meinem Kaufrausch. Die Deutsche Bahn ist an allem schuld. Wieso kommen die Züge auch immer so unpünktlich? Scheiß Deutsche Bahn.

Donnerstag. Zweiundzwanzig Uhr neunundzwanzig. Inzwischen bin ich in meiner Wohnung. Ich habe noch nicht einmal die Hälfte der Texte gelesen und meine Augen zucken aufgrund der neunten Tasse Kaffee, die ich inzwischen im Akkord geleert habe. Ständig anwesend: mein schlechtes Gewissen. Ich hätte früher anfangen sollen zu lernen. Ich hätte mir nicht einen halben Tag darüber Gedanken machen sollen, ob es sich für mich lohnen würde die Youtuber-Karriere anzustreben um mich am Ende doch dagegen zu entscheiden. Ich hätte mich einfach für eine überteuerte Zugverbindung entscheiden sollen. Dann hätte ich die wertvolle Zeit zum Lesen von klausurrelevanten Texten genutzt, anstatt eine unfassbar schnelle und einfach scheinende Zahlungsmodalität für mich zu entdecken und unüberlegt, weil SOFORT, Bettwäsche und Schuhe zu kaufen. Und Socken. Ich brauche gar keine Bettwäsche. Und Schuhe habe ich auch genug. Aber Socken könnte ich schon mal wieder gebrauchen. Das ging mir einfach zu schnell. Hoffentlich war das alles sicher. Nicht, dass ich jetzt ausgeraubt werde. Ich kenne mich mit sowas überhaupt nicht aus. Wieso habe ich mich davor nicht richtig informiert. Zum Glück strebt mein Kontostand nach dem heutigen Tag sowieso gegen Null. Ist also nicht viel zu holen. Aber trotzdem. Irgendwie habe ich ein mulmiges Gefühl. Anderseits macht das heutzutage sowieso jeder. Warum soll es dann also bei mir schiefgehen? Und als ob sich da jeder informiert, bevor er Geld per Sofort-Überweisung versendet. Als ob. Ich konzentriere mich jetzt auf die Klausur.

Donnerstag. Dreiundzwanzig Uhr sieben. Ich trinke die zehnte Tasse Kaffee.

Foto: flickr.com/Graham Richardson (CC BY 2.0)