Sie ist süß, sexy und ein Mega-Star – sie ist eine Zeichentrickfigur

von Melanie Rudolf

Eine riesige Konzerthalle, in der tausende Fans auf ihren Star warten. Plötzlich erlischt das Licht und die Menge schreit vor Begeisterung. Miku Hatsune erscheint auf der Bühne und heizt ihrem Publikum mit typischem J-Pop ein. Die Fans jubeln ihr zu – einer animierten Zeichnung.

Kunst aus dem Computer

Hatsune Miko ist in Japan und langsam auch international ein Superstar. Das süße Mädchen mit dem langen türkisfarbenen Haar und der Schuluniform knackte mit ihren Hits dieses Jahr die 100.000-er Marke an Veröffentlichungen. Auf Miku Hatsunes  Facebook-Seite tummeln sich über 900.000 Fans, die ihren Star bewundern. Einen Star, der nur in der virtuellen Welt existiert.

Anders als Pop-Größen wie Daft-Punk oder die Gorillaz, hinter deren Avataren sich reale Personen verbergen, ist Hatsume Miko ein rein virtuelles Produkt. Entworfen wurde sie vom japanischen Manga-Autor Kei im Auftrag des Medienunternehmens Crypton Future Media, dass Musikprodukte produziert und vertreibt. Das  Unternehmen ist vor allem für seine sprachsynthetisierten Waren bekannt. Diese Produkte basieren auf dem Programm  Vocaloid, einem Sprachsynthetisierer, der künstlichen Gesang generieren kann. Das Programm benötigt lediglich Liedtext, Melodie und Angaben zur Betonung. Miku Hatsune ist eines der frühen Gesangsprojekte und wurde bereits 2007 konzipiert. Seitdem kann Miku Hatsune immer größere Erfolge vorweisen und eine stetig wachsende Fangemeinde.

Ein Star, von seinen Fans geformt

Mit unzähligen Titeln, die in ihren Texten so vielfältig sind wie in den Melodien, bricht das virtuelle Popgirl regelmäßig Rekorde an Veröffentlichungen. Doch wer schreibt eigentlich diese Songs? Das ist wohl eines ihrer Erfolgsrezepte, denn die Songwriter des elektronischen Superstars sind ihre Fans selbst. Durch eine frei zugängliche Software haben die sogenannten „Creators“  Miku unzählige Lieder geschrieben. Die einzige Vorlage ist die vorgefertigte Erscheinung und ihre, im Stil eines Animes, konstruierte Stimme. Diese Stimme kann dabei nach Vorliebe variiert werden, wie „Sweet“, das seufzend, süß klingend ist, oder „Dark“, das leicht melancholisch klingen soll. Bevor die Songs veröffentlicht werden, müssen sie jedoch erst von Crypton Future Media genehmigt werden, was aber der freien Kreativität nur eine niedrige Hürde setzt. Da das Unternehmen nichts mit dem Schöpfern der Lieder zu tun hat und für die Inhalte keine Verantwortung übernimmt, können auch  Tabu-Themen angesprochen werden. Durch die unterschiedlichsten Quellen der Lieder gibt es auch unterschiedlichste Musikstile, die von Miku gesungen werden. Von Punk über Pop bis Heavy Metal ist alles dabei. Die meist produzierte Stilrichtung ist J-Pop, wobei das „J“ für Japan steht und den typischen Sound von Animes widerspiegelt.

Musiker 2.0

Den Fans ist bewusst, dass sie mit Miku ein Wesen verehren, das nicht real ist. Ein Bewunderer postet auf Mikus Facebook-Profil beispielsweise, dass er sich wünsche, sie würde existieren. Doch wie die große Anhängerschaft des japanischen Stars zeigt, stört es die Fangemeinde anscheinend nicht, dass der Avatar kein Wesen aus Fleisch und Blut ist. In der Tat hat Miku einige Begabungen, die bei einem menschlichen Musiker eher schwer zu erreichen sind. Beispielsweise kann sie exakt auf die Vorlieben der Fans angepasst werden und man muss sich nie Sorgen machen, dass sie einen Ton nicht trifft. Sie kann schneller singen, als die menschliche Stimme, was ihre Musik noch etwas außergewöhnlicher macht.

Fans sehen die künstlerische Seite vor allem auch darin, sich selbst in Miku mit ihren Songs verwirklichen zu können. „[…]Irgendwie steckt Miku in jedem“, sagt Yamaguchi, ein langjähriger Fan, in einem Interview und spricht dabei eine weitere Erfolgszutat an. Durch die Möglichkeit durch verschiedenste Quellen Musik zu veröffentlichen und sie unter dem Produkt von Miku Hatsune zu bündeln entsteht eine neue Art Kunstwerk, das sich immer wieder neu gestalten und beliebig erweitern lässt.

Hört man da Zukunftsmusik?

Eine Debatte, ob eine solche Art der Musik das konventionelle Musizieren von Künstlern ersetzt, ist hier aber kaum angebracht. Zum einen erhebt Crypton Future Media nie einen Anspruch, Miku als Künstlerin zu bezeichnen. „Wir nennen sie ‚virtuelle Sängerin‘. Die Kunst kommt von all den Menschen, die ihr den Input geben“ wie Marketing Chef Kanae Muraki im bereits erwähnten betont. Dieser gebündelte Input wiederum ist definitiv eine Art von Kunst, ungeachtet ob die Qualität überzeugt oder nicht. Miku Hatsune bedeutet übersetzt „Der erste Klang aus der Zukunft“.

Die Zukunft der Musik wird sich wohl nicht in diese Richtung verschieben, aber hat sich auf jeden Fall bereits in diese Richtung erweitert und so einer neuen Art von Kunst und Kreativität den Weg bereitet.

Das Konzert ist mittlerweile in vollem Gang und wenn man genau hinsieht, erkennt man bestimmt den ein oder Anderen, der sein selbst geschriebenes Lied auf der Bühne hört. Dann wird klar, die Fans hören nicht einem entfernten Musikstar zu, sondern bestaunen das Ergebnis ihrer eigenen Schöpfung.

 

Bilder: Crypton Future Media (CC BY-NC), flickr/dannychoo (CC BY-SA 2.0)

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