Schulz von Thun und Professor Pörksen im Gespräch

von Marcel Schlegel

 

Als Friedemann Schulz von Thun vor drei Jahren einen Brief aus Tübingen in seinen Händen hielt, da war er noch irritiert gewesen. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hatte seinem Hamburger Professoren-Kollegen vorgeschlagen, gemeinsam ein Buch zu verfassen, das die Lehre Friedemann Schulz von Thuns aus einem vermeintlich neuen Blickwinkel aufarbeiten sollte.

Alles schon gesagt

Schulz von Thun, dem unter anderem mit den drei Bänden von „Miteinander Reden“ (1981, 1989, 1991) weit über die deutschen Grenzen hinweg Aufmerksamkeit zuteil geworden ist, hatte sich hernach schlichtweg gefragt, ob dies denn nötig sei. Habe er seine Idee von stimmiger und gelingender Kommunikation, bei deren Vermittlung er sich ohnehin stets seiner Maxime der leichten Verständlichkeit („Hamburger Verständlichkeitsmodell“) verpflichtet sah, habe er dieses Werk in zahlreichen Veröffentlichungen, akademischen Vorlesungen und Coaching-Seminaren nicht bereits en detail dargelegt? Immerhin verkauften sich die Bücher des Hamburger Kommunikationspsychologen bis jetzt über 1,3 Millionen Mal. Und schließlich zählen die Modelle des emeritierten hanseatischen Psychologieprofessors (von 1975 bis 2009 an der Universität Hamburg) teils zum Unterrichtsstoff an Schulen und zum essentiellen Know-How in jedem Ausbildungsberuf, bei dem das Zwischenmenschliche eine wesentliche Rolle spielt. War zum „Kommunikationsquadrat“, mit den „vier Seiten einer Nachricht“, oder zum Modell des „Inneren Teams“ und den unzähligen „Teammitgliedern“, mit welchen sich die innere Pluralität eines Menschen plastisch darstellen lässt, oder aber zum „Werte- und Entwicklungsquadrat“, das den Prozess der persönlichen Reife in Gang zu bringen fähig ist – war hierzu nicht schon so vieles, vielleicht alles gesagt worden?

Die Lehre des Gesprächs

Doch Friedemann Schulz von Thun willigte ein, weil ihm die Idee des „dialogischen Prinzips“ gefiel, die Bernhard Pörksen verfolgen wollte. Kein Lehrbuch sollte es werden, sondern ein dokumentiertes Gespräch, das der Überzeugung entwuchs, man könne im konstruktiven Hin und Her zu Einsichten gelangen, die dem einsamen Schreiber vorenthalten blieben. Ganz im Sinne Schulz von Thuns folglich, der selbst einst schrieb: „Die Wahrheit beginnt zu zweit“. Diese Verbindung von vermeintlichen Gegensätzen zu einem harmonisierenden Ganzen – das, was Pörksen die „dialektische Gleichzeitigkeit des Verschiedenen“ nennt, passte zum pragmatischen Selbstverständnis des Friedemann Schulz von Thun. Denn war es nicht eben Schulz von Thun, der in seinem gesamten Schaffen vermeintlich entgegengesetzte Pole miteinander zu verbinden wusste?

„Kommunikation als Lebenskunst“

Die Essenz der zahlreichen Gespräche, die Pörksen und Schulz von Thun in Hamburg seit 2011 geführt hatten, ist nun, zusammengefasst auf über 200 Seiten, im Carl-Auer Verlag (Heidelberg) erschienen. „Kommunikation als Lebenskunst“ ist dabei weit mehr als eine weitere Betrachtung der Modelle Schulz von Thuns. Es ist ein Werk, das für den geschulten Akademiker und Therapeuten ebenso von Nutzen sein kann, wie für den interessierten Laien – ganz im Sinne Schulz von Thuns also, der seine Arbeit der „Demokratisierung der Psychoanalyse“ verschrieben hat.

Philosophischer Gulasch

Es ist in Teilen ein Ratgeber, es vermittelt Kommunikations-, aber auch Lebensphilosophie. Es ist pragmatisch und abstrakt zugleich. Reichhaltig an Tipps für den Alltag, anschaulich dargelegt an aktuellen Beispielen und vielseitige gesellschaftliche und wissenschaftliche Bereiche besprechend, ist dieses Buch Kommunikation über Kommunikation – Metakommunikation, die neben der Analyse der praktischen Anwendung seiner als Heuristik zu verstehenden Kommunikationspsychologie ferner in Sphären vorstößt, zu denen sich Schulz von Thun bisher nicht geäußert hatte. Es spannt einen biografischen Bogen über den Hamburger Professor und stellt in gewisser Weise die Vervollständigung seines Werkes hinsichtlich einiger Leerstellen dar. So kommen biografische Elemente zur Sprache, die den Menschen Friedemann Schulz von Thun in einem bis dahin kaum erblickten Lichte zeigen. Er, der das systemische Denken und damit die Betrachtung des zirkulären zwischenmenschlichen Wechselspiels mit den Grundpostulaten der Humanistischen Psychologie kombinierte; der in seiner Lehre die Individualpsychologie mit der Systemtheorie, die Innen- mit der Außenperspektive zu verbinden wusste – und so letztlich mit Paradigmen brach, „Gulasch machte“, wie ihn Paul Watzlawick einst gewarnt hatte.

Ein Lebens-Werk

Es wird deutlich, dass Schulz von Thun erst selbst den biografischen Weg der inneren Selbstklärung hatte gehen müssen, ehe er seine Rolle im akademischen und gesellschaftlichen Umfeld fand. So berichtet der Jubilar von Ängsten, die ihn beinahe ohnmächtig hatten werden lassen, als ihn die „Scientific Community“ nach seiner Erstveröffentlichung mitunter ausgrenzte und marxistische Studentengruppen seine Vorlesungen störten – ausgerechnet ihn, der er doch ein scheinbar angeborenes Harmoniebedürfnis hatte. Denn der Dualismus und Pragmatismus, der ihn letztlich einzigartig macht, ließ ihm zeit seines Lebens reichlich Gegenwind ins Gesicht blasen. Er, der er immer die praktische Alltags-Anwendung seiner Modelle über die akademisch-theoretische Perspektive der Wissenschaft stellte, wuchs daran und integrierte diese autobiografischen Erkenntnisse in sein Schaffen.

Der enorme Gewinn, den man aus dieser Lektüre zieht, stellt sich auch darin dar, den Kommunikationsforscher und Menschen Friedemann Schulz von Thun fernab seiner Modelle kennen zu lernen. So erfährt man, wie er sein von Optimismus geprägtes „humanistisch-systemisches Menschenbild“ definiert, das den Menschen in einem dialektischen Verhältnis zwischen äußerer Einwirkung und teil-determinierter Abhängigkeit („Mensch im System“) einerseits – und innerer Individualität und freiheitlicher Autonomie („System im Mensch“) andererseits angesiedelt sieht. Und man bemerkt, wie viel von Schulz von Thuns persönlicher Erfahrung in seinen Modellen steckt – und wie sehr er sein Schaffen fernab jedes Coachings verinnerlicht hat, wie er seine Modelle sprichwörtlich lebt. So zeigt er seinem Gegenüber Pörksen beispielsweise auf, wie man das „Werte- und Entwicklungsquadrat“ auf den interkulturellen Kontext beziehen kann und kreiert dadurch ein „Kulturquadrat“.

Das dialogische Prinzip

Bernhard Pörksen kommt dabei die Rolle zu, ein kluger und mitunter bewusst kritisch-stichelnder Dialogpartner zu sein, der sich nicht nur als bloßer Fragensteller versteht, sondern seinen Pendant im Sinne eines Moderators zum Teil erst – wie gerade gezeigt – auf neue Erkenntnisse bringt. Erst im Dialog wächst also etwas heran, erst Kommunikation schafft Wirklichkeit – damit ist dieses Buch ein Beleg seiner eigenen These. Das gesamte Werk ist in Interviewform verfasst. Das macht es flüssig lesbar, kurzweilig und lässt es zu, eine enorme Bandbreite an Themen zu besprechen. Wer mit der Arbeit des Tübinger Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen vertraut ist, den wundert diese Interviewform nicht. Der gleichen Herangehensweise folgend, veröffentlichte Pörksen bereits zahlreiche Bücher, die ebenfalls diesem dialogischen Prinzip folgen: mit dem Radikalen Konstruktivisten und Kybernetiker Heinz von Foerster („Wahrheit ist die Erfindung eines Lügner. Gespräche für Skeptiker“) und mit dem Neurobiologen und Erfinder des Konzepts der „Autopoiese“, Humberto R. Maturana („Vom Sein zum Tun. Die Ursprünge der Biologie des Erkennens“) – sodann sei auf seinen Sammelband, „Die Gewissheit der Ungewissheit. Gespräche zum Konstruktivismus“, verwiesen, in dem sich der Skandalforscher aus Tübingen unter anderem mit Francisco J. Varela, Ernst von Glasersfeld oder Paul Watzlawick sprichwörtlich unterhält. Im Carl-Auer Verlag gibt Pörksen, der Germanistik, Journalistik und Biologie studierte, die Reihe „Systemische Horizonte“ heraus.

 Humanistische Psychologie

Der Pragmatiker, der „Kopf-Mensch“ Schulz von Thun, eigentlich kein Mann der Spiritualität, spricht ferner über den Tod, den er als „Lehrmeister eines stimmigen Lebens begreift“. Das Leben fasst er ebenfalls als dialektisches Gebilde auf: „Ich nehme die Koordinaten meines Daseins als gegeben“, sagt er. Denn man müsse sterben, man dürfe leben und den Sinn dahinter, der letztlich in einer absoluten Weise nicht zu beantworten ist, hinterfrage er nicht. „Ich werde gelebt“, glaubt er auf der einen Seite. Und doch sei einem jeden „das Menschliche“ auch „aufgegeben“ – im Sinne von Eigenverantwortlichkeit. In seinen eigenen Worten: „Es ist auch eine Aufgabe, das aus mir zu machen, was als Möglichkeit und als Verheißung in mir steckt.“ Hier vermag man seine Mentoren Ruth Cohn und Reinhard Tausch sprechen zu hören, an dieser Stelle kommt der Humanistische Psychologe im „Inneren Team“ des Schulz von Thun zur Wort. Ohnehin begreift man durch die Lektüre, wie Schulz von Thun zu jenem empathischen Lehrer werden sollte, der als Akademiker und Therapeut für eine Praxis stand, die – metaphorisch gesprochen, wie er dies gerne tut – nebst der Kopf-Arbeit (Modelle), ferner Fuß (systemisches Umfeld), Hand (therapeutische Basistechniken) und eben auch das Herz (Gefühle und Bedürfnisse) berücksichtigt „Kommunikation als Lebenskunst“ gipfelt in einem Gespräch, in dem Schulz von Thun zu Fragen der Erkenntnistheorie Stellung beziehen muss.

 Die Birke vor dem Fenster

Die beiden blicken aus dem Fenster und sehen dort eine im Wind zausende Birke und fragen sich, ob dieser Baum ein Objekt der Außenwelt, das unabhängig von mir als Beobachter vorzufinden ist und damit ein Abbild einer intersubjektiv erfahrbaren Wirklichkeit ist?

Oder entsteht die Birke erst in der Wahrnehmung als Ergebnis eines Konstruktionsvorgangs des menschlichen Gehirns – oder ist sie vielleicht als Produkt von Kommunikation zu betrachten und im absoluten Sinne keine objektive Größe, sondern eine subjektive Darstellung?

Genau diesen Disput zwischen der realistischen und der konstruktivistischen Position haben Schulz von Thun und Pörksen damals in Hamburg ausgefochten. Pörksen vertrat die Position des Konstruktivismus. „Und vielleicht ist die Birke auch für mich etwas anderes als für sie, womöglich erinnert sie mich an ein Gefühl, das ich als Kind hatte […]. Das bedeutet doch, dass es die Birke gar nicht gibt“, erklärt er. Schulz von Thun wählt derweil den Mittelweg. Die Birke sei gewiss ein Produkt des menschlichen Gehirns und „dass meine Birke nicht Ihre Birke ist – das sei alles zugestanden“, sagt er. „Realität ist nicht nur auslegungsfähig und auslegungsbedürftig, sie ist selbst schon eine Auslegung.“ Dennoch gibt es für ihn eine objektive Welt da draußen; zwischen dem Konstruktivismus und dem Realismus positioniert sich Schulz von Thun – in der Mitte. Für ihn gibt es Faktizität, aber deren Auslegung, „den Reim, den man sich darauf macht“, stellt ein individuelles Konstrukt dar. Und so stehe er, mit Rainer Maria Rilke gesprochen, für eine Lebenskunst, die in der Einsicht, dass die Fragen des eigenen Daseins nicht zu beantworten seien, einen neuen Blick auf die Beziehung zwischen Mensch und Leben einnehme. „Es handelt sich darum, alles zu leben. Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, eines fernen Tages in die Antwort hinein.“

 

Foto: privat

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