Ein Comic über Comics

von Marius Lang

Illustrationen von Henrike Ledig

Was sind Comics? Als Kind war diese Frage für Scott McCloud einfach zu beantworten: Comics sind grelle, bunte Heftchen, gefüllt mit schlechten Zeichnungen, dummen Geschichten und Typen in Strumpfhosen. Doch als ein Freund ihm seine Comicsammlung zu lesen gab, änderte sich Scotts Einstellung und sogar sein Leben drastisch. Der junge McCloud war von da an gefesselt und setzte es sich in den Kopf, einmal selbst Comickünstler zu werden und anderen die wunderbare Welt des Mediums zu eröffnen.

Einige Jahre später hatte er es dann geschafft und sein Hobby zum Beruf gemacht. Sein wohl wichtigstes Werk ist zu Anfang das fröhliche Superhelden-Comic Zot!, veröffentlicht zwischen 1984 und 1990. Nach dem Ende der Reihe fiel McCloud erneut auf, dass Comics in der öffentlichen Diskussion noch immer ein fragwürdiger Ruf anhaftete. Um seinen Beitrag zum Diskurs zu leisten und ihn möglicherweise sogar komplett neu aufzurollen, entschied sich McCloud dazu, ein theoretisches Werk über Comics zu schreiben. Dabei war sein Ziel, das Medium und das Verständnis von Comics von Grund auf neu zu definieren. 1993 erschien schließlich Understanding Comics – The Invisible Art. Ein leidenschaftliches Werk, dass sich mit dem grundsätzlichen Konzept des Mediums auseinander setzt: seiner Definition, Geschichte und allen Eigenheiten, die Comics zu dem machen, was sie sind. Oder eben zu dem, als das sie verstanden werden sollen. Verfasst in der Form, die dem Comickünstler und -fan McCloud natürlich am ehesten lag und die den Charme des Werkes ausmacht: Als Comic über Comics.

Auf Will Eisners Fußspuren

In seiner Einführung erklärt Scott McCloud, dass das Werk nicht einfach nur ein historischer Blick auf das Medium ist, sondern, dass es sich viel eher um eine Untersuchung der gesamten Kunstform handelt. Er gibt einen Ausblick, mit was genau er sich beschäftigen will. Wie definieren wir Comics, welche Elemente machen das Medium im Kern aus und wie lesen und verstehen wir die Geschichten. Hier treffen wir auch erstmals Scott McClouds gezeichnetes Ich. Die Eigenheit des Mediums, die bewusste Entscheidung, das Buch als Comic zu erschaffen, gibt McCloud die Möglichkeit, selbst in Erscheinung zu treten und den Leser als stilisierter Fremdenführer durch das Buch zu begleiten. Die Reise durch das Medium beginnt dann auch bei der simpelsten Frage, die dabei jedoch nicht einfach zu beantworten ist: Was genau ist denn nun eigentlich ein Comic?

McCloud beruft sich auf den großen Comickünstler Will Eisner, der 1985 selbst ein theoretisches Werk veröffentlichte, das sich mit ähnlichen Fragen über Comics beschäftigte. In diesem Werk, Comics and Sequential Art, definiert Eisner Comics als „sequentielle Kunst“. Das heißt, dass Bilder für sich genommen keine Comics machen, erst in einer, mehr oder weniger geordneten, Reihe, also einer Sequenz werden sie zu dem, was man als Comic bezeichnen kann. McCloud schlägt davon ausgehend vor, die Definition zu verfeinern und kommt bald zu seiner eigenen Definition: Comics sind „juxtaposed pictorial and other images in deliberate sequence“ (Understanding Comics, S. 9), grob in Deutsche übersetzt also aneinandergereihte, gemalte oder andere Bilder in einer bewussten Abfolge. McClouds Ansicht nach gibt diese verfeinerte Definition die Möglichkeit, das Medium in all seinen Inkarnationen durch tausende von Jahren an Geschichte näher zu untersuchen.

Historisches und Technisches

Mit dem Ziel, das Medium unter anderen Gesichtspunkten zu betrachten, holt McCloud weit aus. Sehr weit. Bis zu narrativen Wandmalereien des antiken Ägyptens verfolgt er die Geschichte des Mediums zurück. Nach McClouds Ansicht ist es seine detailliertere, präzisere Definition, die es möglich macht, die Anfänge des Comics bereits im Altertum aufzufinden und zu erforschen. Auch vertritt er die Meinung, das selbst in der Gegenwart Comicschaffende sich durchaus von der Vergangenheit inspirieren lassen und möglicherweise sogar davon lernen können. McClouds Ansatz, so weit in die Vergangenheit vorzudringen, ist möglicherweise nicht neu, aber auch nicht populär. Bis zu diesem Zeitpunkt sahen die meisten Werke über Comics die Anfänge des Mediums kurz vor dem Beginn des 20. Jahrhunderts. In Understanding Comics dagegen haben schon Holzschnitte, frühe Druckwerke und Wandmalereien Comiccharakter, wenn sie sich prinzipiell mit McClouds Definition umschreiben lassen.

Doch der Autor und sein Comic-Ich beschäftigen sich, wie in der Einleitung des Buches schon erwähnt, nicht nur mit der Geschichte des Mediums. Auch die technischen und künstlerischen Facetten des Comics werden genau untersucht und beispielhaft erklärt. Da gibt es unter anderem ein Kapitel, welches zentrale Begriffe des Mediums erklärt. Ein anderes untersucht genauer, was in der Lücke zwischen den Panels eines Comics passiert oder passieren kann. Wieder ein anderes Kapitel befasst sich mit der Frage, wie Zeit in einem Comic verläuft und wie das Fortschreiten der Zeit von Comics dargestellt werden kann. Zuletzt befasst sich McCloud aber auch mit dem Schaffensprozess selbst, untersucht und erklärt, wie ein Comic aus dem Kopf des Künstlers auf das Papier gelangt.

Ein Buch mit Humor

Eine weitere Besonderheit des Buches ist McClouds Sinn für Humor und seine Erfahrung mit dem Medium selbst. Understanding Comics ist gespickt mit viel Witz rund um Comics, dazu kommen diverse medienspezifische Spielereien, die einerseits das Buch einfach und kurzweilig lesbar machen, dabei aber auch Beispiele spezifischer darstellen. Ein Beispiel hierfür ist das Kapitel über Farbe. In dem gesamten Buch ist dieses das einzige Kapitel, in dem mit Farbe gearbeitet wird, was diesen Teil des Buches vom Rest abhebt. Auch die Idee, sich selbst als Experten in das Buch einzufügen hilft beim problemlosen Verständnis des Buches, ist aber auch Grundlage eines großen Teils des Humors des Werkes. McClouds stilisiertes Ich kann sowohl mit dem Inhalt der Panels des gesamten Buches agieren, aber auch gleichermaßen durchgehend, die vierte Wand durchbrechend, mit dem Leser kommunizieren. Seine Figur ist zudem stets im selben Zeichenstil gehalten, durchstreift und erforscht aber auch andere Stile, weniger cartoonhafte, realistischere Zeichnungen etwa. Der Kontrast des Erzählers mit dem Untersuchungsobjekt ist dabei nie störend und hilft stattdessen beim Verständnis, als Konstante in einem alles andere als konsistentem Medium.

Der Autor als Fan

Natürlich muss erwähnt werden, dass es sich bei Understanding Comics nicht im klassischen Sinne um ein wissenschaftliches Werk handelt. McCloud gibt zwar stets Quellen seiner Bildbeispiele und Fußnoten zu einzelnen Theorien an, beschäftigt sich jedoch nur am Rande mit anderer theoretischer Literatur, vor allem natürlich mit dem Werk von Will Eisner. Es ist offensichtlich, dass es sich bei dem Buch vor allem um die Arbeit eines Comicfans handelt, sowie eines Künstlers, der nicht aus einem wissenschaftlichen Hintergrund kommt. Allerdings macht dies das Werk nicht weniger informativ. McCloud hat sich seine Gedanken über ein Thema, das ihm sehr am Herzen liegt gemacht und will dem Leser helfen, sein Bild von Comics zu überdenken und zu formen. An keiner Stelle aber ist McCloud absolut in seinem Standpunkt, sieht ihn eher als einen Ansatz an die Theorie des Mediums.

Im Zentrum aber steht für ihn immer noch die Liebe für das Comic und mit Understanding Comics lieferte Scott McCloud ein umfangreiches, interessantes und kurzweiliges Werk für Fans, Künstler und all jene, die sich es sich vorstellen können, Fans oder Künstler zu werden.