Der Rankingwahn

von Alexander Karl

Rankings sind das, nach dem die Menschen lechzen: Es gibt ihnen in einer immer schneller werdenden Welt Halt und Struktur, eine Ordnung, die verloren gegangen zu scheint. Längst finden sich Rankings überall in den Medien – von Amazon bis im TV. Doch die Ergebnisse lassen oft zu wünschen übrig.

Die gefühlte Wertigkeit

Rankings gibt es überall, lassen sich leicht erstellen und werden von den Medien dankend angenommen. Vom beliebsten Arbeitgeber über SUVs, Biermarken bis hin zu Hochschulen wird alles in eine Rangliste gepresst, was nicht bei drei auf dem Baum ist (und selbst die könnten noch gerankt werden). Rankings erheben den Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit. Aber wen befragt man, wenn man die beliebtesten Biermarken testen will? Alle zwischen 16 und 99 Jahren? Fragt man lieber gar nicht in Erding oder ausschließlich da? Ermittelt man das Ranking anhand des Verkaufs oder der Produktion? Und so weiter.

Ein gutes Ranking sagt, wie es zustande kam, doch zumeist bleibt Raum zum Zweifeln, denn auch Rankings sind leicht zu beeinflussen. 2005 wurden Manipulationsvorwürfe der deutschen Musikcharts laut, da der Produzent David Brandes Platten seiner Schützlinge – etwa der Eurovision Songcontest-Teilnehmerin Gracia – gekauft haben soll. Das Ziel hinter solchen Aktionen, die angelich branchenüblich ist: Eine bessere Chartplatzierung, denn ein Top 20 Hit verkauft sich wiederum besser als ein Top 60 Hit.

„Schließlich zündet ab dieser Positionierung die zweite Marketing-Stufe: MTV, Viva und die Radio-Playlists greifen das Stück auf und bewerben es so kostenlos“, schreibt der Focus dazu. Dieses Prinzip lässt sich auf alle Bereiche übertragen: Ein Ranking zum beliebtesten Bier sorgt für die Möglichkeit, sich als Produzent genau das auf die Fahne zu schreiben. Die Platzierung eines Buches auf einer Bestsellerliste macht aus einem Titel schnell einen Top-Titel – selbst wenn das Buch nur kurz Chartluft schnuppern durfte. In jeder Buchhandlung liegen diese Bücher dann aus, um alleine durch ihre physische Präsenz und dem Prädikat Bestseller erneut gekauft zu werden – ein Teufelskreis.

Das Bewerben von Spitzentiteln ist natürlich der richtige Schritt des Produzenten und gängige Praxis – man denke nur an all die erfolgreich von Stiftung Warentest getesteten Produkte. Und für den Konsumenten scheint es ein guter Hinweis zu sein: Jeder möchte doch den Marktführer konsumieren und kein vermeintlich schlechteres Produkt. Das Ergebnis ist eine geringe Fluktuation von Spitzentiteln.

Doch Ranking ist nicht gleich Ranking. Recht schnell können sie skurile Formen annehmen, wie Amazon beweist, wenn es Titel in den unmöglichsten Kategorien rankt. Oder eben bewusst Käufe getätigt werden, um aus einem Produkt ein Spitzenprodukt zu machen. Vielleicht sollte man nur dem Ranking trauen, das man auch selbst gefälscht hat.

Doch Skurilität ist das Stichwort, wenn es um die Königsdisziplin des Rankings geht: Der TV-Rankingshow. Selten geht es dort um die harte Rankingware wie Unis und Autos, außer sie beweisen sich als sonderlich „skuril“.

Der Rankingwahn im Fernsehen

Die 25 unglaublichsten TV-Auftritte der Welt, Unsere Besten – Die größten Deutschen, 32Eins! – Die größten Beautyschocker, die unglaublichsten Tiere der Hessen, die erfolgreichsten Überraschungshits – die Rubrikenvielfalt einer TV-Ranking-Show scheint unendlich groß und reicht längst von den privaten Sendern bis zu den öffentlich-rechtlichen. Das Vorgehen – gerade bei den Privaten – ist zumeist gleich: Man finde zunächst eine Kategorie für ein interessantes Ranking, das zum Senderformat passt. Dann setze man ein wertendes Adjektiv à la unglaublich oder spektakulär hinzu. Weiterhin nehme man kostengünstiges Archivmaterial und schnibbele es wild zusammen. Im letzten Schritt lasse man einige Stars und Sternchen, die sich bereits im Sender bei anderen Formaten bewährt haben, Senf zu dem Gezeigen abgeben. Fertig.

Soweit, so gut. Doch mittlerweile nimmt der Rankingwahn absurde Formen an: Da tritt der gerade gerankte Beitrag hinter den meist uninformativen Beiträgen der Kommentatoren zurück, die im Idealfall das kommentieren, was man als Zuschauer gerne selbst sehen würde, wenn man denn könnte. Denn was die Prominenten da von sich geben, enthält zumeist das Motto der Sendung und unterstreicht, wie unglaublich dieser TV-Auftritt wirklich (!) ist. Oder wie vollkommen überraschend dieser Hit wirklich (!) ist. Oder wie vollkommen toll/grandios/ekelig/bäh/sinnfrei dieses oder jenes ist.

Vielleicht ist die Idee solcher Shows, durch die Willkürlichkeit der Zusammenstellung wenigstens nichts fälschen zu müssen. Vielleicht ist es auch nur kostengünstige Unterhaltung, die die Zuschauer in Erinnerung schwelgen lassen kann. Denn das was gerankt wirkt, muss existieren und in der Vergangenheit da gewesen sein. Rankingsshows sind letztendlich gerangordnete Rückblicke, nicht mehr und nicht weniger – nur die Art ihrer Seriösität und Ernsthaftigkeit variiert. Man warte auf den Tag, an dem es ein eine Rankingshow der unglaublichsten Rankings gibt.

Fotos: flickr/pete_pick (CC BY-NC-SA 2.0) , flickr/Funky64 (www.lucarossato.com) (CC BY-NC-ND 2.0)

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