von Jelena Hauß

„Killing the Internet at Home Is the Most Productive Thing I’ve Ever Done“, verkündet Joshua Millburn (ironischerweise) auf seinem Blog. Dabei würde er sich mit seinem weißen Hemd und der Fönfrisur gut in eine wohlbekannte Szenerie einfügen: Millburn könnte einer sein, der uns in irgendeiner Großstadt dieser Welt begegnet, das Smartphone am Ohr, das iPad in der Tasche, den Facebook-Status heute schon mehrmals aktualisiert. Er könnte einer sein, der sich dem Informationsorkan aus privater und öffentlicher Kommunikation gerne hingibt, ein „Digital Native“ eben. Doch Joshua Millburn wählt einen anderen Weg, um den es im Folgenden gehen wird.

Die digitale Revolution frisst ihre Kinder – doch diese entwickeln die passende Diät

Denn unauflösbar mit diesem Informationsorkan hängt der „Burnout“ zusammen, als gesellschaftliches Massenphänomen oder zumindest als vereinfachender Sammelbegriff für die Leiden des Menschen im 21. Jahrhundert. Überall sind Informationen, die uns zwingen zu selektieren, zu reagieren und weitere Medieninhalte zu konsumieren. Miriam Meckel, als Kommunikationswissenschaftlerin vermeintlich sensibilisiert für die Tücken der digitalisierten Welt, geriet vor einiger Zeit selbst in eine solche persönliche Notsituation. Wie sie in einem Interview mit stern.de berichtet, gab es vor ihrem Zusammenbruch ein „Zuviel“ von allem außer Zeit und Ruhe: Zu viel Kommunikation, zu viel Informationen, zu viele Verpflichtungen, zu viel Ablenkung.

Dieser Reizüberflutung beizukommen, scheint jedoch wie ein Kampf gegen Windmühlen, denn die Menge der verfügbaren Informationen – egal ob sinnvoll, trivial oder nutzlos – wächst im Sekundentakt in einer nachvollziehbaren Dimension. Im Jahr 2010 wurden erstmals mehr als eine Trillion (1.000.000.000.000.000.000) Gigabyte digitaler Daten erzeugt. Ursache dieser stillen Informationsexplosion ist die Digitalisierung, doch das Internet ist heute der Hauptentstehungsort und -umschlagplatz der Datenberge. Einerseits tragen wir selbst durch unsere Kommunikation mittels verschiedenster Dienste dazu ständig bei, andererseits liegt es in der Natur des Internets, Datenmengen exponentiell wachsen zu lassen; der Blogger Michael Seemann beschreibt es in seinen Artikeln gerne als „Riesenkopiermaschine“.

Das Erfolgsmodell als Produktivitätsfalle

Miriam Meckels Beispiel zeigt es deutlich: Die „digitale Elite“, ein Heer von wissenschaftlich, journalistisch und/oder kreativ Arbeitenden, gerät gerade durch das Medium, das ihren Aufstieg erst ermöglicht und dann begleitet hat, unter erheblichen Druck. Der Blogger Dan Dohlmann beschreibt in einem Blogbeitrag sehr treffend das Szenario, in dem sich die „Poweruser“ wiederfinden: Sie verlieren sich im Netz angesichts der nie enden Hyperlinkstrukturen und unendlichen Möglichkeiten, die sich durch immer neue Geräte und Dienste bieten. Bereits im Jahr 1995 schrieb der Architekt und Philosoph Georg Franck in seinem Buch Ökonomie der Aufmerksamkeit treffend über diesen Überforderungszustand und den Fehlschluss, dass ihm nur mit „noch größerem Fleiß“ begegnet werden könne. Seine immer noch sehr aktuellen Überlegungen verdeutlichen, dass in Zukunft nicht mehr materielle Güter die beschränkte Ressource sein werden, sondern dass die Knappheit von Zeit und Informationsverarbeitungskapazitäten unser Leben prägen werden. An genau diesem Dilemma der von Natur aus limitierten Aufmerksamkeit in Zeiten allgegenwärtiger Medienangebote setzen ein vielstimmig in der Blogosphäre geführter Diskurs und ein offen zelebrierter Mentalitätswandel ein.

Vom Digital Nativezum philosophischen Neandertaler

Während sich die einen (noch) in der Perfektion der Selbstorganisation im digitalen Zeitalter mit dem Ziel des erfolgreichen Informationsmanagements versuchen, vertreten die anderen schon radikalere Thesen, wie eben der oben zitierte Joshua Millburn. Gemeinsam mit einem Freund betreibt er den Blog, in dem es um „minimalism and living a meaningful life with less stuff“ geht. Die beiden stehen exemplarisch für eine Reihe von Bloggern, die den Minimalismus als Lebensweise zu ihrer grundsätzlichen Geisteshaltung erhoben haben und diesen an die Gegebenheiten des Internetzeitalters anzupassen versuchen.

Es geht den Autoren jedoch nur auf den ersten Blick um die Befreiung von Informationsflut und Multitasking. Im Zentrum der Überlegungen steht das übergeordnete Ziel, ein erfüllteres Leben zu führen, indem man sich auf Wesentliches wie konzentriert (wie beispielsweise vom einflussreichen Vordenker Leo Babauta  in seinem E-Book Focus beschrieben). Zuletzt geht es an vielen Stellen auch um den weitgehenden Verzicht auf materielle Güter, wie dieser Fernsehbeitrag zeigt. Die digitalen Minimalisten greifen somit auf Wertvorstellungen zurück, die schon seit langer Zeit in verschiedenen Kulturen und Religionen Bestand haben oder auch an frühere „Besinnungstrends“ wie Straight Edge erinnern.

Die Darstellungsformen, in denen sich die Blogosphäre mit dieser Denkschule auseinandersetzt, sind vielfältig: So haben spirituell angehauchte Ratgeberblogs Hochkonjunktur, andere Minimalisten beschreiben vor allem ihren radikalen Lebensstil der Ungebundenheit und zuletzt finden sich inzwischen auch Metadiskurse im Netz, wie etwa im Blog von Peter Hinzmann. Den Gesetzen des Internets folgt also auch diese Thematik: Viele Akteure, eine unüberschaubare Anzahl von Schauplätzen und die ständige Weiterentwicklung des Diskurses durch eine nicht zu beherrschende Informationsflut. Thomas Cooper, ein weiterer Verfechter der Mediennutzungs-Entschleunigung, würde an diesem Punkt sicherlich zu „Media Fast“, dem „Medienfasten“, raten.

Auf dem Weg zur Weltrettung?

Das beschriebene Phänomen ist sicherlich derzeit noch eines der „digitalen Elite“: Während manche Bevölkerungsgruppen und Erdteile gerade erst dabei sind, die Weiten des Netzes entdecken und seine Vorteile nutzen zu können, wenden sich einige der „frühen Eroberer“ davon schon wieder ab. Das Internet dient ihnen nur noch als ein Werkzeug zur gelungenen Lebensführung, nicht mehr als Lebensmittelpunkt oder gar Ersatzreligion. Inwiefern sich dieser Trend durchsetzen wird, muss die Zukunft zeigen. Wünschenswert wäre jedoch eine Entwicklung, die Peter Hinzmann  formuliert: „Vor allem gut […] finde ich die Tatsache, dass […] das Thema ‚Nachhaltigkeit‘ sich langsam aber sicher auch in die Gemüter von uns Normalbürgern einschleicht. […] Ich sehe durchaus einen sehr wichtigen Zusammenhang zwischen den Themen Minimalismus und ‚Nachhaltigkeit‘, bzw. dem Begriff ‚sozialer Wandel‘.“

Foto: Flickr/Mr Mo-Fo (CC BY-NC-ND 2.0)